Freitag, 30. Oktober 2015

Die Anklage der Nachkriegsgeneration



Der Staat gegen Fritz Bauer

Das Wirken des Fritz Bauer (1903-1968) wurde von der deutschen Geschichtsschreibung bislang sträflich vernachlässigt. Als hessischer Generalstaatsanwalt sorgte er maßgeblich für die juristische Einordnung der Taten des Naziregimes. So wurden durch seine Arbeit die Attentäter des 20.7.1944 rehabilitiert, ebenso rückte er den Begriff des Unrechtsstaates ins öffentliche Bewusstsein. Bauers größter Verdienst ist aber zweifellos in der Ermöglichung der Frankfurter Auschwitzprozesse 1963-1968 zu sehen. Dank seiner Recherche konnte mit der Ergreifung des Lagerkommandanten Adolf Eichmann durch den israelischen Geheimdienst Mossad in Argentinien 1960 die juristische Aufarbeitung der Machenschaften des Dritten Reichs beginnen. Mit diesem entbehrlichem Stück seiner Biografie setzt sich der 10fache Tatort-Regisseur Lars Kraume nun in Der Staat gegen Fritz Bauer auseinander. Der Schwerpunkt des Films liegt dabei keinesfalls auf den eigentlichen Gerichtsverhandlungen. Vielmehr beschäftigt sich Kraume mit den Auswirkungen der misslungenen Entnazifizierung in den 50er Jahren. Eindrucksvoll wird dies anhand des sogenannten „Schwulenparagraphs“ gezeigt. §175 des deutschen Strafgesetzbuches, das homosexuelle Handlungen mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestrafen ließ, wurde unter Herrschaft der Nationalsozialisten zur Verfolgung von gleichgeschlechtlich Liebenden genutzt (circa 6000 Homosexuelle starben in den letzten Kriegsjahren in Konzentrationslagern) und hatte in der Bundesrepublik bis 1973 Bestand. Der zum Schein verheiratete Fritz Bauer kämpfte als Homosexueller für die Abschaffung dieses Paragraphen, machte sich jedoch für seine Gegner somit verwundbar. Auf diesem Konflikt etabliert Der Staat gegen Fritz Bauer eine dichte und spannende Thrillerhandlung. Regisseur Kraume inszeniert den Streifen dabei als dialoglastiges Duell der Weltanschauungen. Mit präzise gefilmten und geheimnisvoll ausgeleuchteten Bildern schafft er eine Atmosphäre, die Fritz Bauers Ausspruch „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland“ greifbar macht. Der allgegenwärtige Zigarettenqualm unterstreicht die verstaubten Ansichten einflussreicher Menschen noch zusätzlich. Mit Burghardt Klaußner (Elser – Er hätte die Welt verändert, Diplomatie, 23 – Nichts ist so wie es scheint) kann sich Kraume dabei auf einen erfahrenen Schauspieler in seiner Hauptrolle verlassen, der Bauers Kampf gegen die Windmühlen der deutschen Justiz und die damit einhergehenden Entbehrungen glaubhaft verkörpert. An seiner Seite vervollständigen Roland Zehrfeld, Sebastian Blomberg sowie die Tatort- Kommissare Jörg Schüttauf und Robert Atzorn das tolle Ensemble. Indem er den realen Fritz Bauer zu Beginn des Films selbst auftreten lässt, beantwortet der Film ganz selbstverständlich die Frage nach dem Sinn der etwa 50 Verfahren gegen ehemalige KZ- Aufseher, die seit 2011 ins Rollen kamen. Diese sind zweifellos notwendig, da die Aufarbeitung des Holocaust zu lange verhindert wurde. Der Staat gegen Fritz Bauer, der mit seiner detailgetreuen Herangehensweise bei den Filmfestspielen in Locarno den Publikumspreis gewann, ist somit ein wichtiger und mitreißender Film geworden.

8/10

Für Fans von: Im Labyrinth des Schweigens, Das Urteil von Nürnberg

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