Donnerstag, 29. Oktober 2015

Natur und Revolution







Der letzte Wolf

1966 rief Mao Zedong seine chinesischen Landsleute zur Kulturrevolution auf. Im Zuge dessen wurden junge Männer in zivilisatorisch unterentwickelte Bereiche des riesigen Landes geschickt, um den dort Lebenden Naturvölkern die chinesische Lebensweise sowie deren Sprache und Schrift aufzudrängen. Das Schicksal eines Studenten, der 1967 zu diesem Zwecke in die innere Mongolei (nördliches Grenzgebiet Chinas zum unabhängigen Staat Mongolei) geht, wurde 2004 als erfolgreiche Autobiografie Der Zorn der Wölfe veröffentlicht und ist bis heute Chinas zweiterfolgreichstes Buch aller Zeiten (interessanterweise hat nur Maos Das kleine rote Buch, das unter anderem den Startschuss zur Kulturrevolution gab mehr Exemplare verkauft). Das unter Pseudonym publizierte Werk des Wirtschaftspolitikprofessors Lü Jiamin konnte überraschenderweise jegliche staatliche Zensur passieren und gilt bis heute als einflussreiches Werk für liberalen Chinesen. Unter den fähigen Händen des Franzosen Jean-Jacques Annaud erscheint nun die Verfilmung des Romans in den deutschen Kinos. Der Regisseur von Am Anfang war das Feuer, Der Name der Rose und Duell – Enemy at the Gates erarbeitete sich über Jahrzehnte den Ruf eines umsichtigen und detailversessenen Naturfilmers. Und so dirigierte Annaud über drei Jahre ein Heer von 500 Technikern und Tiertrainern, 200 Pferden, 1000 Schafen und 25 Wölfen und ließ Camps für die organisierte Aufzucht der wilden Tiere errichten. Dieser Aufwand ist in jeder Szene des Films zu spüren. In majestätischem 3D erzählt Der letzte Wolf vom schwierigen Miteinander von Wildnis und Mensch in Zeiten großen politischen Umbruchs. Der Wolf erscheint hierbei stellvertretend für die zerstörte Wildnis, die Maos radikale Politik in den Weiten Chinas hinterließ. Trotz der offensichtlichen Ausrichtung von Film und Vorlage, wird kein Charakter des Streifens pauschalisiert. Annaud umschifft jegliches Klischee, sorgt für viel Verständnis für das Leben der Naturvölker ohne es zu romantisieren und lässt auch Pekings eingesetzten Offizier, der die Urbarmachung der Steppe brutal zu beschleunigen sucht, als innerlich zweifelnden Befehligten auftreten. Gemeinsam mit einem eindrucksvoll monumentalen Score des verstorbenen James Horner wird Der letzte Wolf zu einem bewegenden Epos. Doch trotz aller optischer Größe des Films, schleichen sich in die eigentlich moderate Laufzeit von 119 Minuten verschiedene Längen ein. Im Gegensatz zu einzelnen Szenen (besonders die Jagdsequenzen sind bahnbrechend visualisiert und enorm spannend), fehlt dem gesamten Werk eine schlüssige Dramaturgie. Der Ablauf der Handlung erscheint recht zufällig und unzusammenhängend. Ein roter Faden wird dem Zuschauer nicht gegeben. Als handwerklich meisterliches Spätwerk Annauds weiß Der letzte Wolf dennoch zu begeistern.

8/10

Für Fans von: Der mit dem Wolf tanzt, Am Anfang war das Feuer

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