Freitag, 2. Oktober 2015

Im Dunkeln stochern



Sicario

Vor zwei Jahren kürte ich den englischsprachigen Debütfilm des Franko-Kanadiers Denis Villeneuves, Prisoners, zum besten Streifen 2013. Mit enormer Spannung erwartete ich also das Nachfolgewerk des Regietalents. In Sicario (Spanisch für Auftragskiller) schildert uns Villeneuve den aussichtslosen Kampf amerikanischer Geheimdienste gegen mexikanischen Drogenkartelle am Grenz-Hotspot El Paso/Ciudad Juarez. Die Brillianz von Prisoners kann in Sicario leider nicht ganz wiederholt werden, der Film zieht einen jeden Zuschauer allerdings von Minute 1 bis 121 in seinen Bann. An zwei Dingen ist dies festzumachen. Zum ersten profitiert Sicario von seiner großartigen Hauptfigur. In einer perspektivlosen Umgebung voller Verantwortlicher, die nur zwischen verschiedenen Abstufungen von falsch entscheiden können, ist es als Kinobesucher eine enorme Wohltat mit Emily Blunts SWAT- Agentin Kate Macer einer positiv charakterisierten Identifikationsfigur folgen zu können. Blunts Leistung ist dazu auch mehr als nur bemerkenswert. Der zweite Grund, der Sicarios unheimliche Sogwirkung begründet, ist dessen audiovisuelle Wucht. Der vielleicht beste, lebende Kameramann und Hollywoods Nummer 1 der aufstrebenden Filmkomponisten setzen diesbezüglich neue Maßstäbe. Roger Deakins Bilder sind schlichtweg atembe raubend. In Prisoners und Skyfall ließ sich schon sehen, was der Brite besonders im Hinblick auf das Spiel mit Lichteinflüssen auf Zelluloid bannen kann, die Nachtaufnahmen in Sicario nun gehören für mich zum Aufregendsten, was ich seit langem sehen durfte. Der eindringliche und hinterlistig-bedrohliche Score des Isländers Johann Johannsson (im diesem Jahr oscarnominiert für Die Entdeckung der Unendlichkeit) sorgt dazu für permanentes Nägelkauen. Zwiegespalten hingegen fällt meine Bewertung des Drehbuchs aus. Hier widersetzt sich Villeneuve dem gängigen Thriller-Muster und präsentiert Sicario als Folge persönlicher und politischer Dilemmata. Dies spiegelt den oftmals orientierungslosen Kampf der Behörden gegen die allmächtig erscheinenden Kartelle zwar bestens wieder, sorgt aber auch dafür, dass Sicario im Mittelteil etwas die Puste ausgeht. Der Film wirkt dann teilweise fragmentarisch. Was hingegen wirklich negativ auffällt, ist die schwache Figurenzeichnung des Einsatzleiters Matt Graver. Gegen dieses wandelnde Klischee kann selbst Leinwandikone Josh Brolin nur schwerlich anspielen. Für dramaturgisch gelungene Momente sorgt wiederum der „Berater“ Alejandro. Benicio del Toro ist hier in einer maßgeschneiderten Rolle zu sehen, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers bis zum beklemmenden Finale fordert. Letztlich verdient sich Sicario durch seine tolle Hauptdarstellerin und seine Ambivalenz aus betörend schönen Bildern und seiner realistisch-niederschmetternden Grundaussage seinen vorderen Platz im Oeuvre eines der spannendsten Regisseur der Gegenwart.

8/10

Für Fans von: Traffic – Macht des Kartells, Zero Dark Thirty

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