Donnerstag, 31. Dezember 2015

Jahresrückblick


Das nun vollendete Jahr hatte es filmisch in sich. Ungewohnt schwer war es daher für mich eine Top Ten der definitiv besten Streifen zu finden. Wie gewohnt habe ich mich dabei nicht an die versucht objektiven Kritiken gehalten, sondern die Platzierungen viel eher nach dem Gefühl gewählt, das der Kinobesuch bei mir auslöste. Beeindruckt war ich so zum Beispiel davon, wie sehr mir bestimmte Bilder auch nach langer Zeit nicht aus dem Gedächtnis gehen. 6 von 10 Filmen starteten im ersten Halbjahr 2015 in den deutschen Kinos. Einige Filme, die mich tief beeindruckten können in dieser Liste natürlich keine Erwähnung finden. Die schiere Masse von 115 bewerteten Streifen lässt das nicht zu. Die großartigen Kritiken, die beispielsweise Alles steht Kopf, Spy, Leviathan, Selma oder Avengers 2 bekamen, soll dies nicht schmälern. Es gab lediglich 10 (15 inklusive der besonderen Nennungen) Filme, die mich tiefer berührten, schamloser unterhielten oder im besten Sinne fassungslos den Kinosaal verlassen ließen.



Platz 10
Mission: Impossible – Rogue Nation
Ein nahezu perfekter Actionfilm, der seinen großartigen Vorgänger Phantom Protokoll sogar noch überflügelt. Endgültiger Abschied von der Tom Cruise-One-Man-Show. Einem starken Drehbuch verdanken wir den tollen Gegenspieler und die großartige weibliche Hauptrolle, die der Serie so gut bekamen. Dazu voller legendärer Stunts und cooler Oneliner.

Platz 9
Kingsman – The Secret Service
Persiflage, Verneigung und Neuausrichtung des Agentenfilms in einem. Britischer gehts nicht. Völlig durchgeknallte Actionszenen, ein überragender Colin Firth als Kampfsportass und eine enorme Gagdichte machen aus dem brutalen Actionthriller und dem Spiel mit Zitaten und Querverweisen eine unvorhersehbare Mischung.

Platz 8
Me & Earl & the dying Girl
In Deutschland unter Ich & Earl & das Mädchen veröffentlicht. Sonst schlicht genial. Bittersüßes Krebsdrama voller liebenswerter Charaktere, verschrobener Ideen und viel, viel Stoff für Filmfans. Niemals kitschig und voller innovativer Einfälle, toller Jungdarsteller und technischen Spielereien. Ein echter Geheimtipp!

Platz 7
Wild Tales
Für mich die Überraschung des Jahres. Bitterböse Farce aus Argentinien, die in fünf Episoden die vorherrschende Korruption und irrgeleitete Bürokratie des Landes mit der menschlichen Zerstörungswut aufeinandertreffen lässt. Technisch tadellos und zum Schreien komisch. Ein großartiges Werk über den Punkt in uns, den man besser nicht überschreitet.



An dieser Stelle 5 Filme, die ich in diesem Jahr besser nicht gesehen hätte:

Kind 44
Unstrukturierte und völlig misslungene Buchverfilmung, die eine Mordserie in der stalinistischen Sowjetunion thematisiert. Ein gutes Dutzend Topstars wird in diesem zugleich langweiligen und hoffnungslos überfrachteten Thriller verheizt.

The Gunman
Auch hier scheitert ein prominent besetzter Film an seinem miserablen Drehbuch. Wirres Konstrukt aus Rachethriller, Actionfilm und Drama um die Neukolonialisierung Afrikas durch Großkonzerne. Und wir haben es verstanden: Sean Penn hat jetzt Muskeln.

What the Fuck heißt redirected?
Kläglicher Versuch, den Geist der Filme Guy Ritchies einzufangen. Überflüssig, langweilig und nicht im entferntesten cool. Neben dem bescheuerten Titel bleibt die große Frage, wie solch ein billiger Schund einen Verleih finden konnte.

Fantastic Four
Ein Film, über den alles schlechte bereits gesagt wurde. Eine aufstrebende Riege an Jungstars wurde hier zum Spielball der Streitigkeiten zwischen Regisseur und Produktionsstudio. Ein Marvel Film auf steinerweichend schlechtem technischen Niveau ohne Stan Lee-Cameo und Post-Credit-Scene.

96 Hours - Taken 3
Eine Beleidigung. Nicht nur für einen jeden Actionfan, sondern direkt für jeden Kinogänger. Liam Neeson hat hier gefühlt weniger Leinwandzeit als sein Stuntdouble. Dazu bleibt rätselhaft, wie Oscargewinner Forest Whitaker in diesen Schund gelockt werden konnte. Erbärmlich gefilmt und geschnitten und überraschend wie Regen im November.



Platz 6
Der Marsianer
Der Marsianer ist perfekte Unterhaltung. Nach einer langanhaltenden Durststrecke schöpft Altmeister Ridley Scott hier noch einmal aus den Vollen und präsentiert uns die perfekte Mischung aus nervenzerfetzender Spannung und launigem Humor. Klassisch-schön inszeniert ist Der Marsianer einer der Filme, die man stetig neu erleben will, um sich anschließend besser zu fühlen.



Platz 5
Mad Max: Fury Road
Altmeister Teil 2. Die Wenigsten hätten wohl für möglich gehalten, dass George Miller seine kultige Trilogie derart wirkungsvoll fortsetzt. Mit einem stillen Helden und der vielleicht besten weiblichen Actionikone seit Linda Hamilton ist Mad Max: Fury Road das optisch extravaganteste und beeindruckendste Stück Actionkino des Jahres.



Platz 4
Steve Jobs
In klassischer Dreiaktstruktur zeigt uns Danny Boyle den Mythos hinter der Apple-Legende. Herausragend dabei: das Drehbuch von Aaron Sorkin, der eine zweistündige Dialogschlacht gleichsam zur tiefgründigen Charakterstudie und zu packender Unterhaltung formt. Dabei ist Steve Jobs grandios gespielt. Michael Fassbender, Kate Winslet, Jeff Bridges und Seth Rogen sind allesamt eine echte Offenbarung in ihren Rollen.



Nun 5 Filme, die das Rennen um die vordersten Plätze knapp verfehlten, allesamt jedoch uneingeschränkt empfehlenswert sind:

Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Macht
Knallbunt, perfekt inszeniert und auf höchstem Level unterhaltsam, hab ich Star Wars VII die Auflistung in der Top Ten nur verweigert, da sich Regisseur J.J. Abrams zu sehr auf bewährtes verlässt und die großen Fragen der Handlung auf weitere Teile verschiebt. Eine großartige Fortsetzung der Saga bleibt der Film allemal.



Slow West
Der beste Westernfilm des Jahres. Ähnlich wie schon The Homesman und The Salvation in den Jahren zuvor, hält Slow West das amerikanische Ur-Genre dank konsequentem Unterlaufen der Erwartungen am Leben. Wenn verantwortliche Studios nun noch an die Schönheit der Bilder und der Geschichten glauben würden, wäre ich äußerst erfreut.



Sicario
Ein mitreißender und kompromissloser Drogenthriller, der von technischer Seite unter die Top 3 des Jahres gehört, mit seiner ungewöhnlichen Erzählweise jedoch polarisiert. Prädestiniert für Preise in Dingen Kameraarbeit (Roger Deakins) und Score (Jóhann Jóhannsson).



Ex Machina
Ein Beleg für die Vielseitigkeit des Science-Fiction-Genres. Inhaltlich höchst spannend und brandaktuell. Zusätzlich absolutes Aushängeschild für die Fähigkeiten von Oscar Isaacs, Alicia Vikander und Domnhall Gleeson - drei DER Gesichter des Jahres. Wurde platzierungstechnisch von einem großartigen Jahrgang überrollt.



Carol
Meine schwierigste Entscheidung. In der Kritik für seine künstlerische Perfektion gelobt. Technisch absolut unantastbar und mit zwei der besten Performances des Jahres von Cate Blanchette und Rooney Mara. Lädt lediglich durch seine Sperrigkeit nicht in dem Maße zum wiederholten Schauen ein, wie die besser platzierten Streifen.



Platz 3
Victoria
Einen deutschen Film derart hoch einschätzen zu dürfen, erfreut mich ungemein. Der komplett in einem Take gedrehte Victoria ist vielmehr eine Grenzerfahrung als ein klassischer Film, geht tief durch Mark und Bein und berührt auf allen vorstellbaren Ebenen. Ein Erfolg der Kunst, den jeder einmal gesehen haben muss, auch wenn es Zeit und Überwindung kosten mag.



Platz 2
Birdman (oder die Unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
Der Oscarabräumer des Jahres. Alejandro Gonzáles Iñáritu schafft in dieser Showbiz-Staire Einmaliges. Perfekt besetzt, eindrucksvoll fotografiert und voller vielschichtiger Dialoge, die jeden Zuschauer gleichsam begeistern und in seiner Manipulierbarkeit entlarven. Michael Keaton in der Rolle seines Lebens. Birdman lädt zum erneut Erleben und Weiterentdecken ein.



Platz 1
Whiplash
Kein anderer Film hat mich derart beeindruckt und, ob des gerade Gesehenen, geradezu erschlagen zurückgelassen. Aus einer einfachen Lehrer-Schüler-Geschichte zaubert Regisseur Damien Chazelle dank seiner Hauptdarsteller Miles Teller und J.K. Simmons und einem brillianten technischen Stab (der folgerichtig doppelt oscargewürdigt wurde) ein Meisterstück von unfassbarer Emotionaler Fallhöhe. Ein absolutes Muss für jeden, der Filme nicht nur zur Berieselung schaut.



Mittwoch, 30. Dezember 2015

Erkenntnis des Tages: Finger weg



Ich bin dann mal weg

Der immense Erfolg der Vorlage lässt nur eine Frage zu: Warum dauerte es derart lang, bis clevere Produzenten eine Verfilmung von Hape Kerkelings Ich bin dann mal weg realisierten? Nach dem Kinobesuch stelle ich mir allerdings eine ganz andere Frage: Warum musste es nun ausgerechnet diese sein? Der Volkskomiker löste mit seinem 2006 erschienenen Reisebericht eine neue Welle des Pilgerns aus. Die amüsante Sinnsuche verkaufte sich mehr als 5 Millionen mal und ist bis heute das erfolgreichste deutsche Sachbuch seit 1949. Und auch Julia von Heinz Kinoadaption findet abseits der zur Zeit grassierenden Star Wars-Manie viele Fans. Doch der Film tut leider vieles, um sich entgegen seiner Vorlage nicht im kollektiven Gedächtnis der Kinonation einzurichten. Bei einer Laufzeit von knappen 92 Minuten sollte man eigentlich einen kurzweiligen Unterhaltungsfilm erwarten. Doch das einfallslose Drehbuch lässt viele Passagen des Films sehr zäh wirken. Das treibende Element der Geschichte ist ausschließlich der Jakobsweg selbst, aus den Figuren entsteht keinerlei Spannung; vorhersehbare Entwicklungen auf Seifenopernniveau versucht uns der Film als bedeutende, dramatische Momente zu verkaufen. Wenn die Geschichte um Kerkeling und seine Mitwanderer letzten Endes Fahrt aufnimmt, ist Ich bin dann mal weg auch schon wieder gelaufen. Erst im finalen Viertel findet der Film zu unterhaltsamer Form. Dazu war mir die Optik des Streifens ein steter Dorn im Auge. Von Heinz und ihr Team gestalten den vermeintlich körperlich wie spirituell herausfordernden Jakobsweg in weichgezeichneten Pastellfarben und schmalziger Postkartenromantik. Außerdem wird der Kinobesucher eineinhalb Stunden mit nervigsten Streicher- und Akustikgitarrenklängen bombardiert, die pausenlos jede Szene künstlich dramatisieren. Jegliche Möglichkeit zu Reflexion oder inneren Einkehr wird so zunichte gemacht. Einem Film, der sich religiöse Selbstfindung auf die Fahnen schreibt, bekommt dies natürlich äußerst schlecht. Lobend hervorheben muss ich hingegen das uneingeschränkt gut gecastete Schauspielensemble. Allen voran Devid Striesow ist als Hape Kerkeling in jeder Szene glaubwürdig. Er verkörpert den Entertainer mit dem Wunsch nach einem Lebenswandel nachvollziehbar und entsprechend zurückgenommen. An seiner Seite bleibt vor allem die eifrige Fernsehdarstellerin Karoline Schuch als gelangweilte Journalistin in Erinnerung, die für die humoristischen Töne verantwortlich ist. Völlig verschenkt ist hingegen Kultschauspielerin Katharina Thalbach, die als Kerkelings Oma mit komplett überdrehtem Ruhrpottdialekt die ohnehin schon schwächsten Szenen des Films vollkommen unerträglich macht. Denn Julia von Heinz verfremdet die Geschichte zusätzlich mit Episoden aus Kerkelings Jugendzeit. Zur eigentlichen Haupthandlung tragen diese jedoch nicht das Geringste bei. Dem kritischen Blick auf die Auswirkungen des Showbusiness Kerkelings glorreichen Aufstieg zum Star entgegenzusetzen, ist dementsprechend auch komplett kontraproduktiv. Somit retten nur die gut aufgelegten Schauspieler Ich bin dann mal weg vor dem kompletten Fiasko.

4/10

Für Fans von: Hin und weg, Dein Weg

Mittwoch, 16. Dezember 2015

Die Rückkehr der kindlichen Freude



Star Wars Episode VII – Das Erwachen der Macht

Für astronomische 4 Milliarden Dollar kaufte Disney 2012 die Rechte am Star Wars- Universum von George Lucas. Seit diesem Tag zeigte sich der Mickey Maus-Konzern als Meister des Marketings. Pläne für ein Expanded Universe à la Marvel mit einer neuen Trilogie und zahlreichen Spin-Offs wurden verkündet. Mit sehr früh veröffentlichten Teasern und Trailern, einem gigantischen Angebot an Spielzeug und ähnlichen Fanutensilien wurde der Hype um die Krieg der Sterne-Saga ins Unermessliche getrieben. Die Erwartungen an den eigentlichen Film waren nach der misslungenen Prequel-Trilogie von 1999-2005 zusätzlich enorm hoch. Konnte Star Trek-Regisseur J.J. Abrams 32 (viele sagen auch 35) Jahre nach dem letzten wirklich guten Star Wars-Film eine Wiederauferstehung des Mythos gelingen? Die Antwort ist ein uneingeschränktes JA! Von der ersten Sekunde an ist Das Erwachen der Macht packend und unterhaltsam. Über niemals gestreckt wirkende 136 Minuten entführt uns der Film glaubhaft wie im ersten Star Wars in eine ferne Galaxie. Mit viel Herz und glücklicherweise ohne den selbstreferenziellen Zynismus anderer großer Filmreihen unserer Tage begeistert Das Erwachen der Macht durchweg. J.J. Abrams macht als ausgewiesener Fanboy auch nicht den Fehler, sich ausschließlich an ein erfahrenes Publikum zu wenden. Eine neue Generation von Kinogängern kann ohne Probleme in die vielfältige Star Wars-Welt eintauchen. Für Fans der ersten Stunde gibt es natürlich wesentlich mehr zu entdecken und neu zu erleben, doch Das Erwachen der Macht holt jeden Zuschauer gleichsam ab. Dies hat zwei besondere Gründe. Zum ersten begeistert Episode VII durch technische Perfektion. Auch wer Science-Fiction generell etwas skeptisch gegenübersteht, muss diesen brilliant inszenierten Film erleben. Was Kamera, Set-Design und Special-Effects hier bieten, ist schlicht atemberaubend. In effektiv genutztem 3D wirken die gigantischen Weltraumschlachten spannender denn je. Mit Liebe zum Detail und gezielter Farbsetzung ist das Erwachen der Macht pures Augenfutter, das sich in voller Pracht nur auf der Großen Leinwand erleben lässt. Der zweite Grund für die universelle Begeisterung, die dieser Film auslösen wird, ist das neu eingeführte Team der Hauptdarsteller. Mit Oscar Isaac, Adam Driver und Lupita Nyong'o fährt der Streifen die höchste Riege aufstrebender Superstars auf, doch die Darstellung der eigentlichen Protagonisten Rey und Finn dürfte für Daisy Ridley und John Boyega den absoluten Durchbruch bedeuten. Die beiden mäßig bekannten Serienschauspieler schultern die gesamte Unternehmung eindrucksvoll und überzeugen sowohl in den dramaturgisch bedeutenden Momenten als auch den fordernden, kampfbetonten Sequenzen und sind dazu absolute Sympathieträger. Als besonders herausragend empfand ich ebenso John Williams Score. Mehr als jedes anderer Element des Films überträgt die Musik die Emotionen von der Leinwand zum Zuschauer. Mit viel Bombast und dennoch der nötigen Ruhe in bedächtigen Szenen ist die perfekte Orchestrierung das klarste Echo der Originaltrilogie. So werden die Themen von Darth Vader und Luke Skywalker, oder das liebliche Love-Theme von Leia und Han Solo intelligent in den Filmverlauf integriert und lassen jedes Fanherz höher schlagen. Lediglich über das Drehbuch lässt sich an dieser Stelle streiten. Trotz einiger Überraschungen hält sich die Storyline etwas unselbstständig an den ersten Star Wars-Film Eine neue Hoffnung. Wobei dies natürlich eine willkommene Einladung an alle darstellt, in denen mit Episode VII zum ersten mal die Macht erwacht. J.J. Abrams baut mit diesem Film die perfekte Brücke vom Mythos vergangener Jahrzehnte zu all den großen Abenteuern, die uns Disney in nächster Zeit noch bescheren wird.

9/10

Für Fans von: Star Wars 4-6,

Ein besondere Weihnachtsgeschenk



Carol

Bei den Filmfestspielen von Cannes gehörte Carol zu den Abräumern. Der Preis für die beste Schauspielerin ging an die britisch-amerikanische Koproduktion, ebenso konnten sich die Filmemacher über eine Palme in der Nebenkategorie Queer freuen. Todd Haynes neuster Streich wurde dazu mit minutenlangen Standing Ovations an der Côte d'Azur gefeiert. Seither erreichen uns nach und nach Kritiken aus allen Teilen der Welt, die Carol in den höchsten Tönen loben. Doch vermag das Liebesdrama auch das filmbegeisterte Publikum zu begeistern? Die Antwort darauf ist eindeutig ja! Carol vermittelt auf unaufgeregte Weise eine derartige Vielfalt an Emotionen, wie sie seltenst im Kino zu sehen ist. Weder Drehbuch, noch Regie, keine schauspielerische Leistung und kein technischer Aspekt an diesem Streifen offenbart wirkliche Schwächen, jeder Beteiligte schien mit ganzem Herzen einen außergewöhnlichen Film erschaffen zu wollen und doch ordneten sich alle dem Gesamtwerk unter. Carol erreicht somit eine fast makellose Vollkommenheit. Die erzählte Geschichte behandelt die aufkeimende Liebe zwischen einer wohlhabenden Dame und einer einfachen Verkäuferin im New York des Jahres 1952. Mit Oscargewinnerin Cate Blanchett kann Carol in der titelgebende Hauptrolle mit einer echten Idealbesetzung auftrumpfen. Die Zerrissenheit ihrer Figur transportiert Blanchett höchst einfühlsam zum Zuschauer. Als größere Überraschung darf allerdings Rooney Mara gelten. Sie steht der Grand Dame der Schauspielerei in nichts nach. Als von der Liebe überrumpelte junge Therese ist sie viel eher Identifikationsfigur, als die erfahrene Carol. Diese Last ist ihr jedoch niemals anzumerken, Mara überzeugt mit auf den ersten Blick sehr zurückgenommenem Habitus, offenbart jedoch das gesamte chaotische Innenleben ihre Figur durch eine präzise Mimik. Allein die finale Szene des Films ist diesbezüglich höchster Genuss fürs Auge. Passenderweise war es auch die junge Amerikanerin, die die silberne Palme in Cannes für ihre Leistung erhielt. Ein weiterer großartiger Aspekt an Carol verdanken wir der Arbeit von Regisseur Todd Haynes (I'm not there) und Drehbuchautor Phyllis Nagy, der hier den Patricia Highsmith Roman Salz und sein Preis adaptierte. Denn zu keiner Zeit verkommt Carol zu einem Portait zweier Vorkämpferinnen, es gibt keinen feministischen Auftrag, keine brutalen Ehemänner, denen die Protagonistinnen entfliehen müssten, Carol bleibt von Minute 1 bis 118 eine im positiven Sinne herzergreifende Liebesgeschichte. Die höchst sinnliche Erfahrung, zu der sich dieser Film entwickelt, entsteht jedoch vor allem durch die gezeigten Bilder. Nahezu jede Einstellung von Chef-Kameramann Edward Lachmann (hierzulande unter anderem bekannt durch seine Arbeit mit Wim Wenders, Werner Herzog und Ulrich Seidl) ließe sich in ein beeindruckendes Gemälde wandeln. Stets fokussiert sich die Perspektive auf die Gesichter der Hauptdarstellerinnen und wird so unmittelbarer als in den meisten Filmen zum sprichwörtlichen Fenster in die Seele. Dazu leisteten Set-Designer und Kostümbildner herausragende Arbeit und vermitteln ein glaubhaftes Bild der 50er Jahre. Gemeinsam mit der schwelgerischen Musik von Coen-Brüder-Stammkomponist Carter Burwell, die mich auch nach dem Kinobesuch noch lange schwärmen ließ, entsteht so ein enorm vielseitiges Bild einer schwierigen Liebe. Carol wird durch seinen künstlerischen Anspruch zweifellos kein großes Publikum finden. Doch als Film, der in der kommenden Award-Saison ein gewaltiges Wörtchen mitsprechen dürfte, hat er jeden einzelnen Zuschauer verdient.

9/10

Für Fans von: Blau ist eine warme Farbe, Kill your Darlings

Donnerstag, 10. Dezember 2015

Brücken statt Mauern



Bridge of Spies

Als Märchenonkel für Groß und Klein machte sich Steven Spielberg einen Namen in Hollywood. Werke wie Jäger des verlorenen Schatzes, E.T. oder Jurassic Park zeugen bis heute davon. In den fast 50 Jahren seines Schaffens hat sich der Altmeister stets eine kindliche Freude am Entdecken und eine zynismusfreie Herangehensweise an seine Filme bewahrt. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir neue Spielberg-Filme genießen können, macht nun auch Bridge of Spies, trotz seines im Kern trockenen Themas, zu einer warmherzigen und dennoch wahrhaftigen Angelegenheit. Die Geschichte des Anwalts James Donovan, der im Berlin des Jahres 1961 zwischen die Fronten des Kalten Krieges gerät, hätte in den falschen Händen schnell klischeeüberladen oder schlicht langweilig werden können. Doch auf Spielberg und sein Team ist einmal mehr Verlass. Die stattliche Laufzeit von 142 Minuten ist dem stringent erzählten Film nicht anzumerken. Ein beachtlichen Anteil daran hat das toll ausbalancierte Drehbuch, das die vielen Charaktere, deren Abhängigkeiten und versteckten Motive sowie die eigentliche, klassische Agentengeschichte stets für den Zuschauer nachvollziehbar aufbaut. Spannenderweise waren die Coen-Brüder treibende Kraft hinter dem Script. Des Weiteren sorgen die hervorragenden schauspielerischen Leistungen für großes Kinovergnügen. An vorderster Front steht mit Tom Hanks der Prototyp des aufrichtigen und vertrauensvollen Jedermanns. Der zweifache Oscarpreisträger gibt hier den von ihm bereits in Der Soldat James Ryan, Der Krieg des Charlie Wilson oder Captain Philipps perfektionierten durchschnittlichen Mann in einer außergewöhnlichen Situation. Fein nuanciert und nie aufdringlich begleitet ihn das Publikum durch die verwirrende Welt der Geheimdienste. An Hanks Seite dürfen in dieser deutschen Co- Produktion (gedreht wurde unter anderem in Potsdam, an der Glienicker Brücke und auf dem Flughafen Tempelhof) auch einheimische Schauspieler mitwirken. So erinnert uns Sebastian Koch als Vertreter des Justizapparates der DDR, welchen minimalen Einfluss der zweite deutsche Staat im Aufeinandertreffen der Großmächte doch hatte, während Burghardt Klaußner und Jungstar Max Mauff (Victoria, Stromberg - Der Film) in reinen Komödienrollen den humoristischen Grundton des Films unterstreichen. Die beeindruckendste Performance des Streifens liefert jedoch Mark Rylance ab. Der britische Theaterschauspieler (einigen vielleicht aus Intimacy bekannt) ist als sowjetischer Spion der Stein des Anstoßes in Bridge of Spies. Doch gerade im großartigen Zusammenspiel mit Tom Hanks offenbaren sich Schicht um Schicht gleichsam die Lächerlichkeit der Spionage und Gegenspionage, sowie die ureigensten Werte der Menschlichkeit, die im wahrsten Sinne des Wortes Mauern überwinden. Dank Spielbergs Stammkameramann Janusz Kaminski (Oscars für Schindlers Liste und Der Soldat James Ryan) und einer authentischen bildlichen Entsprechung für die Paranoia der Hochphase des Kalten Krieges, sieht Bridge of Spies durchgehend hochwertig aus. Lediglich der gesundheitsbedingte Tausch der Komponisten macht sich negativ bemerkbar. Für John Williams übernahm Thomas Newman, dessen schwülstiger Score allerdings deutlich zu melodramatisch gelang. Bridge of Spies kann abschließend dank großartiger Darsteller und der Perfektion seines Regisseurs gleichzeitig als Unterhaltungsfilm und pazifistisches Lehrstück überzeugen.

8/10

Für Fans von: JFK – Tatort Dallas, Wer die Nachtigall stört, Argo

Thor und Poseidon



Im Herzen der See

Im Herzen der See endet mit einem Zitat des amerikanischen Romantikers Nathaniel Hawthorne, in dem er Hermann Melvilles Roman Moby Dick mit Homers Odyssee vergleicht. Ebenso Episches schien auch Regisseur Ron Howard im Sinn zu haben, als er diese freie Adaption des Kultromans drehte. Doch an der breitgefächerten und tiefgründigen Geschichte über das Verhältnis von Mensch und Natur scheitert er größtenteils in dieser Leinwandadaption. Im Herzen der See wird aus der Sicht des jungen Matrosen Thomas Nickerson (Tom Holland, der zukünftige Spiderman) erzählt. In zwei Zeitebenen schildert er seine Abenteuer auf der Essex sowie sein Zusammentreffen mit Hermann Melville, den die Geschichte des Walfängers zu Moby Dick inspirierte. Im Herzen der See beruht zwar offiziell nicht auf Melvilles Buch, sondern auf dem 2000 erschienenen In the Heart of the Sea von Nathaniel Philbrick, trotzdem ist dem Film sein Bemühen um historische Größe stets anzumerken. Auf technischer Ebene funktioniert dies auch ganz vernünftig. Mit spektakulärer Kameraarbeit (Fans von Howards vorangegangenen Film Rush werden die typische Close-Up-Optik wiedererkennen) und hochwertigen Special-Effects ist die Waljagd auf der großen Leinwand unterhaltsam anzuschauen. Dazu machen die Hauptdarsteller Chris Hemsworth, Cillian Murphy und Benjamin Walker ihren Job ordentlich, auch wenn sie nie gegen das schlecht austarierte und überladene Drehbuch ankommen. In der Rahmenhandlung sind dazu die hochdekorierten Akteure Ben Wishaw und Brendan Gleeson in einem simplen Gespräch komplett verschenkt. Wer die Geschichte der Essex kennt, weiß um den zehrenden Überlebenskampf der Besatzung nach dem berüchtigten Walangriff. Auch diesen Part der Geschichte integriert Howard in die 121 Minuten von Im Herzen der See. Doch auch hier zeigt sich, dass der Film versucht, zu Lasten einer intensiven Kinoerfahrung, ein größtmögliches Publikum anzusprechen. Mit der zahmen Inszenierung des Streifens (manche Schnitte schreien geradezu nach dem Wunsch der Produzenten eine FSK 12- Freigabe zu erhalten) funktioniert dieser nicht als Survivalfilm. Für Fans des Originalstoffes bleibt der Mythos des weißen Wals zu schwach beleuchtet. Einige wenige Minuten Screentime für diesen Handlungsstrang machen aus Im Herzen der See noch keine Romanverfilmung. Und zusätzlich ist der Streifen meilenweit von großen Seefahrerdramen wie Master and Commander entfernt, da die Figurenzeichnung des privilegierten Kapitäns und seines ersten Maats aus einfachen Verhältnissen zu platt ist und dieser, eigentlich zentrale, Konflikt nur selten im Fokus steht. Im Herzen der See versucht von allem Etwas zu sein, ist am Ende jedoch leider nur mittelmäßig in jeglicher Hinsicht.

5/10

Für Fans von: Master and Commander, Life of Pi, Der Seewolf

Donnerstag, 3. Dezember 2015

Jesus und der Waschsalon



Das brandneue Testament

Was wäre, wenn Gott existiert? Wenn er als saufender Abschaum seine Familie terrorisiert und mit Freuden den Menschen Leid zufügt? Wenn er zu allem Überfluss noch in einer heruntergekommenen Wohnung in Brüssel lebte? Diese Fragen sind nun der Aufhänger für Das brandneue Testament. In einer fantasievollen Mischung aus Religionssatire, Liebesgeschichte und Märchen erzählt uns Regisseur Jaco van Dormael die Geschichte von Gotts Tochter Éa, die wie ihr Bruder Jesus, im Film konsequenterweise JC genant, aus der familiären Hölle ausbricht und beschließt selbst auf die Suche nach Aposteln und einem neuen Testament zu gehen. Dem zuvor geht allerdings ein von Éa verursachtes Chaos, das entsteht, als sie zur Schmach ihres Vaters, allen Menschen ihr Todesdatum zusteckt. Aus diesem skurrilen Versatzstücken zimmert uns van Doramel nun ein nicht immer schlüssiges, aber sehr einnehmendes Gedankenkonstrukt. Nun wird Das brandneue Testament keine Welle der Verdammnis von Seiten der katholischen Kirche provozieren, wie es einst Dogma tat, die sehr weiblich betonte Herangehensweise an den Stoff weiß aber durchaus auch Religionskritikern zu gefallen. Die Story wird passend dazu in biblisch bekannte Kapitel geteilt. Vor der Suche nach ihren Aposteln erzählt uns Éa von der Genesis und ihrem persönlichen Exodus. Die ungewöhnliche Storyline wird das Publikum dennoch sicherlich spalten. Van Doramels Inszenierung weiß hingegen durchweg zu begeistern. Der zentrale Einfluss im Stil des Films kommt zweifellos vom Theater. Besonders die großartige Kameraarbeit von Christophe Beaucarne (Gemma Bovery, A royal night) und die bühnenbeeinflussten Bauten zeugen davon. Ein auch inhaltlich enorm wichtiger Faktor des Films ist die Musik, deren Rolle ein jeder bestenfalls selbst im Kino entdeckt. Aus dem hierzulande fast gänzlich unbekannten Cast sticht erfreulicherweise die erst 10jährige Hauptdarstellerin Pili Groyne heraus. Ihre Éa ist das im Film beschworene Bild der unschuldigen Jugend. Das Nachwuchstalent schultert diese Verantwortung bravurös. Eine Erwähnung soll an dieser Stelle auch noch Leinwandikone Catherine Deneuve erhalten, die in einer besonders aberwitzigen Episode eine Apostelin spielt. Trotz der vielen positiven Eigenschaften des Films, wird Das brandneue Testament nicht jedermanns Sache sein. Doch wer sich von einer sperrigen Erzählung nicht abschrecken lässt und innovative Arthousefilme mag, sollte definitiv einen Blick riskieren.

7/10

Für Fans von: Being John Malkovich, Alice im Wunderland, Moonrise Kingdom



Wenn es nicht perfekt ist, schmeiß es weg



Im Rausch der Sterne

Kochen ist Lifestyle! Nach diesem Motto werden nicht mehr nur tagtäglich dutzende Kochshows im Fernsehen ausgestrahlt, nein auch der Hobbykoch strebt zusehends nach Perfektion auf dem Esstisch. Die Ehrfurcht vor Lebensmitteln und deren fachgerechter Zubereitung ist in den letzten Jahren immer stärker in die Öffentlichkeit gerückt wurden. Die Zeiten, als Essen bloße Nahrungsaufnahme war, scheinen unwiderruflich vorbei zu sein. Auch im Kino widmeten sich in jüngerer Vergangenheit einige wirklich unterhaltsame Filme der Kochkunst. Stellvertretend seien an dieser Stelle Kiss the Cook und Madame Mallory und der Duft nach Curry genannt. Der nun vorliegende Im Rausch der Sterne verzichtet jedoch in Gänze auf romantische Verklärung von Düften und Geschmack, sondern inszeniert das Kochhandwerk als schweißtreibende Maloche obsessiver Menschen. Um ein möglichst realistisches Bild des Wettbewerbs unter den Köchen zu zeichnen, holte sich Regisseur John Wells (Im August in Osage County, The Company Men) zwei absolute britische Ikonen ins Boot. Der mit zwei Sternen im Guide Michelin ausgezeichnete Starkoch Marcus Wareing fungierte als Set-Berater und führte den Cast des Films in die Geheimnissen des Kochens ein. Dazu fungierte Kultfigur Gordon Ramsay (Hell's Kitchen) als Produzent. Folgerichtig sind die Kochsequenzen das Herzstück von Im Rausch der Sterne. Wenn aufwändige Menüs in höchster Perfektion punktgenau auf dem Teller landen sollen, hat man den Eindruck einer intensiven Actionsequenz zu folgen. Ein spannender inszenatorischer Ansatz, dessen hohes Niveau sich generell in allen technischen Belangen des Streifens durchzieht. Doch Im Rausch der Stern wartet nicht nur mit den obligatorischen Food Porn-Bildern auf, sondern weiß auch durch seinen starken Cast zu überzeugen. An vorderster Front darf Bradley Cooper als heißblütiger Chefkoch Adam Jones überzeugen. Besonders im Zusammenspiel mit den beiden zentralen Nebendarstellern Sienna Miller und Daniel Brühl (der einmal mehr beweist, warum er derzeit Deutschlands größtes Aushängeschild in Hollywood ist) gelingen so einige wirklich bemerkenswerte Szenen bei denen sich die gute Leinwandchemie der Schauspieler auf die Zuschauer überträgt. Mit großen Namen wie Omar Sy, Uma Thurman, Alicia Vikander oder Emma Thompson geben sich dazu noch internationale Topstars ein Stell-dich-ein. Auch wenn einige Rollen nicht über ein Cameo hinausgehen, kann sich der geneigte Filmfreund über bekannte Gesichter in jedem Moment der 103 Minuten Laufzeit freuen. Der eingangs erwähnte Realitätsfaktor trägt zwar zum Gelingen dieses Films beiträgt, die Charakterisierung der Hauptfigur ist im Gegensatz dazu doch sehr eindim ensional gelungen. Adam Jones wird als reines Ekelpaket dargestellt, dessen Verhalten gegenüber Freunden und Kollegen ihn eher als Antagonisten erscheinen lässt. Seine moralische Wandlung ist dann folgerichtig auch überhastet und vorhersehbar. Dazu wird krampfhaft versucht Jones eine tragische Vergangenheit zu geben. Auf diese greift das Drehbuch dann reflexartig zu, wenn der Haupthandlung etwas Leerlauf droht. Diese Unwägbarkeiten haben zur Folge, dass das Publikum nicht mehr mit der Hauptfigur mitfiebert. Lustigerweise umgehen die Filmemacher selbst letztendlich dieses Problem, wenn sie im letzten Viertel des Streifens zwei komplett überraschende Twists aus dem Ärmel schütte ln, die Im Rausch der Sterne noch einen einigermaßen versöhnlichen Abschluss schenken.

6/10

Für Fans von: Kiss the Cook, Soul Kitchen

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Perfekte Benutzerfreundlichkeit



Steve Jobs

Nach dem Tode Steve Jobs am 5. Oktober 2011 fielen Apple-Jünger (die nicht umsonst so heißen) in regelrechte Hysterie. Videos von jungen Mädchen machten die Runde, in denen die Errungenschaften des Kaliforniers gepriesen wurden, wie die Erfindung des Rades. Eine ungeahnte, globale Heiligsprechung nahm ihren Lauf. Zu dieser trug dann auch der misslungene Versuch bei, einen filmischen Kniefall für den Apple-Gründer zu veröffentlichen. Nicht umsonst hatte der Ashton Kutcher-Streifen jOBS das Wort Erfolg im Untertitel. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Steve Jobs und der Person, die dahinter steht, war von solch einem Film nicht zu erwarten. Dies gelingt nun dem nahezu perfekten Steve Jobs. Die ausgeklügelte, hochoktanische und brilliant gefilmte Tour de Force, die uns einer der vielseitigsten Regisseure unserer Zeit, Danny Boyle (Slumdog Millionaire, Trainspotting, 127 Hours, Sunshine) nach dem famosen Drehbuch von Oscargewinner Aaron Sorkin (The Social Network) hier präsentiert, ist eines der besten Bio-Pics aller Zeiten, weil es die angestaubten Abläufe des Genres konsequent unterläuft. Steve Jobs gliedert sich in ein klassischen Dreiakter. Jeweils 40 Minuten lang folgen wir dem Apple-Chef bei den Vorbereitungen auf einer seiner berühmten Produktpräsentationen. 1984 für den ersten Macintosh, 1988 für den Wissenschafts-PC NeXT sowie 1998 für den iMac. Die eigentlichen Vorstellungen sparen Boyle und Sorkin dann konsequenterweise aus. Der Film interessiert sich vielmehr für das fragile Gebilde an mannigfaltigen geschäftlichen wie privaten Verbindungen Jobs. Angeführt von Ausnahmeschauspieler Michael Fassbender, der die Rolle unerklärlicherweise erst nach den Absagen von Leonardo DiCaprio, Matt Damon, Ben Affleck, Bradley Cooper und Christian Bale erhielt, präsentiert uns Steve Jobs einen grandiosen Cast, der sich gegenseitig zu Höchstleistungen antreibt. Gleichermaßen begeistern Kate Winslet als Jobs Pressesprecherin und engste Vertraute, Seth Rogen als Mastermind Steve Wozniak, Jeff Daniels als Apple-Vorstandsvorsitzender John Scully, Michael Stuhlbarg als Softwareentwickler Andy Hertzfeld und Katherin Waterson als Jobs Ex-Freundin und Mutter seiner Tochter Lisa. All diesen Figuren verpasst der Film eine ungeheure emotionale Tiefe, die nur durch Gespräche mit dem allmächtigen Steve Jobs herrühren. Dies ist zuallererst dem atemberaubenden Drehbuch zu verdanken. Aaron Sorkin bombardiert den Zuschauer regelrecht mit seinen ausgefeilten Dialogen. Jedoch wird kein Wort zu viel verloren, kein Handlungsstrang vernachlässigt. Angepeitscht von einem elektrisierenden Score schafft es der Film zudem die maximale Aufmerksamkeit des Kinogängers zu erhaschen, ohne ihn zu überfordern. Gebannt bleibt man an den Figuren und der, durch die Dreiteilung bedingt, enorm kurzweiligen Handlung kleben. Zusätzliche Spannung zieht Steve Jobs aus seiner tollen Inszenierung. Durch abwechslungsreiche Kameraarbeit und ein geübtes Händchen für die Zeit, in der sich die Story soeben befindet, ist der Film ein zusätzliches Fest für das Auge. So drehte Boyle das erste Drittel des Films auf grobkörnigen 16mm Film, die 1988er Passage in breitester 35mm-Pracht, den finalen Part des Werkes in hochauflösendem Digital-Look. In letzen Teil gibt es mit der optisch herausragendsten Szene des Films zusätzlich eine Hommage an Steve Jobs als Mitbegründer der Animationsfabrik Pixar. Kammerspiel und Kinomagie in einem – die meisterliche Dialogschlacht Steve Jobs begeistert in allen Belangen durch beeindruckende Darsteller, ein mitreißendes Drehbuch und technische Perfektion.

9/10

Für Fans von: Birdman, The Social Network