Freitag, 30. Januar 2015

Wenn einer einen Vogel hat







Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

In der für mich beeindruckendsten Szene von Birdman, fast zum Ende des Films, gönnt uns Regisseur Alejandro Gonzáles Iñáritu einen ausgiebigen Blick auf ein applaudierendes Theaterpublikum. Zwei Auditorien sitzen sich in diesem Moment auf den entgegengesetzten Seiten der Leinwand gegenüber, beide ungläubig und in heller Aufruhr über das, was sie geraten geboten bekamen. Kein Moment brachte für mich alle Metaebenen und alle entlarvte Scheinheiligkeit besser zum Ausdruck als dieser. In den zwei Stunden zuvor wurden wir Zeuge von nahezu Unbegreiflichem. Praktisch ohne sichtbaren Schnitt zeigen uns Kameramann Emmanuel Lubezki (Steadycam-Meister hinter Children of Men und Gravity) und Iñáritu die Geschichte von Riggan Thomson, der als ehemaliger Hollywood-Superst ar seine Reputation am Broadway retten möchte. Ständiger Begleiter ist dabei das Starvehikel Birdman, ein Superheld, der Thomson berühmt machte und jetzt als gesplittete Persönlichkeit, Alter Ego, Engelchen und Teufelchen über ihn wacht. Diese Ausgangssituation nutzt Birdman dabei, in einer Ebene des Films, als böse Satire auf den Blockbusterwahn der Traumfabrik. Witziger Weise wurden die Hauptrollen auch mit 3 ehemaligen Superheldendarstellern besetzt. Michael Keaton (Batman), Edward Norton (Hulk), Emma Stone (aus The Amazing Spiderman), alle liefern dazu noch beeindruckende Performances ab. Vor allem Stone und Norton können auch in den stilleren Szenen restlos überzeugen. Was den Schauspielern dabei enorm zu Gute kommt, ist das phänomenale Drehbuch, für das sich der Regisseur zusätzlich verantwortlich zeigt. Ein wahres Dialogfeuerwek prasselt auf den Zuschauer ein – Birdman schreit nach mehrmaligem Sehen, um alle Raffinessen der Gespräche vollends zu erfassen. Für ein Gefühl der Rastlosigkeit sorgten zusätzlich die verworrenen Gänge des Broadwaytheaters, in dem der Film fast in Gänze angesiedelt ist, und die die Kamera wie einen fiebrigen Organismus durchstreift. Dazu wird Birdman durch einen großartigen Score von Jazz-Drummer Antonio Sanchez angetrieben. In surrealen Traumsequenzen bekommen wir außerdem Werke von von Maurice Ravel und Gustav Mahler zu hören. Doch nicht nur das Zusammenspiel von Klassik und Jazz, bieten ein Gespann, das Birdman so überraschend macht. Das Verweben von tatsächlichen Schauspielern (Robert Downey Jr., Ryan Gosling und Jeremy Renner sind unter anderem Teil einer Szene) mit dem erschaffenden Geschehen auf der Theaterbühne, die völlig verschiedenen, aber in sich gleichsam durchgeknallten Welten von Theater und Film (sowie deren Kritiker!!!) - all dies sind irre Gegensätze, die einen reißenden Sog entwickeln, dem sich der Zuschauer nicht entziehen kann. Birdman ist ein kompromissloses und bahnbrechendes Meisterwerk.

10/10

Für Fans von: Kino

Donnerstag, 29. Januar 2015

Ein Mann und sein Moustache







Mortdecai

Johnny Depp in einer extravaganten Rolle zu sehen, lockt inzwischen auch größte Fans kaum mehr hinter den Ofen hervor. Zu überstrapaziert ist doch seine Rolleninterpretation in Filmen wie Lone Ranger, Sweeney Todd oder Dark Shadows, die in den letzten Jahren allesamt floppten. Und auch in Mortdecai kann der Kultschauspieler nicht an seine Klassiker der 90er Jahre anknüpfen. Wie der gesamte Film ist Depps Performance zwar grell und gewollt übertrieben, aber letzten Endes nur bedingt komisch. Lord Charlie Mortdecai wird in seiner Funktion als zwielichtiger Kunsthändler mit der Wiederbeschaffung eines gestohlenen Gemäldes beauftragt. Fortan entspinnt sich ein Action- und Slapstickfeuerwerk um den gesamten Erdball. In einem komplett verworrenen Plot um Kunstfälschung und Nazigold muss sich Mortdecai mit russischen und chinesischen Gangstern sowie nymphomanischen Kalifornierinnen herumschlagen. Dazu fährt der Film ein ganzes Arsenal an skurrilen Nebencharakteren auf, und bietet gefühlte 20 Running Gags. Über seine Laufzeit von 106 Minuten ist Mortdecai somit komplett überfrachtet und verliert seine Haupthandlung ständig aus den Augen, was auch für eine seichte Komödie mehr als hinderlich ist. Der Zuschauer kämpft sich von Szene zu Szene ohne einen roten Faden zu finden. In seinen Einzelteilen hingegen ist Mortdecai etwas besser. An erster Stelle gilt es die Besatzung des Films zu loben. Ewan McGregor, Jeff Goldblum, Ulrich Thomsen sowie Gwyneth Paltrow als Mortdecais überlegene Ehefrau und Paul Bettany als sein treuer Leibwächter (der für die größten Lacher im Film sorgt) – allen Schauspieler ist die Freude an der Arbeit an Mortdecai deutlich anzumerken. Als Zuschauer sollte man jedoch dem Overacting zugeneigt sein, denn keine der Rollen ist im entferntesten realitätsnah angelegt. Des Weiteren ist die Gaunerkomödie von Regisseur Paul Koepp (der mit Johnny Depp schon Das geheime Fenster drehte) sehr ordentlich ausgestattet und bietet einige nette optische Gimmicks. Im Gesamten bleibt Mortdecai zwar stets unterhaltsam, wird aber auch schnell in Vergessenheit geraten.

5/10


Für Fans von: Der rosarote Panther

Dienstag, 27. Januar 2015

Ich bin mit der Behandlung zufrieden







Baymax – Riesiges Robowabohu

Schon kurze Zeit nach Veröffentlichung von Baymax hat der titelgebende Roboter einen Platz in der ewigen Sidekick-Hall-of-Fame sicher. Über den gesamten Film schafft es der sogenannte „persönliche Gesundheitsassistent“ alle Szenen an sich zu reißen und verpasst Baymax somit eine ungeheure Gagdichte. Das neuste Animationsabenteuer aus dem Hause Disney/Marvel beschäftigt sich mit Hero, einem jungen Wissenschaftler, seinem treuen Helfer, eben Baymax, und seinen Nerdfreunden, die zusammen die Superheldengang Big Hero 6 (so übrigens der Originaltitel des Films) bilden. Die Geschichte ist dabei im futuristischen San Fransokyo angesiedelt. Diese Stadt ist der Hingucker des Streifens. In dieser perfekten Mischung aus westlichen und östlichen Einflüssen kann man als Zuschauer ewig schwelgen. Der Film gibt glücklicherweise auch Gelegenheit dazu. Hinter jeder Ecke wollen neue Eigenheiten der Stadt erkundet und Abenteuer erlebt werden. Besonders eine spektakuläre Verfolgungsjagd wird dadurch zu einem echten visuellen Rausch, zumal die Tricktechnik auf allerhöchstem Niveau ist. Die Oscarnominierung für den besten Animationsfilm an Baymax ist absolut gerechtfertigt. Doch so witzig, unterhaltsam und visuell außergewöhnlich Baymax auch daher kommt, frei von Schwächen ist er nicht. Hauptsächlich liegt dies an der deutlich nachlassenden zweiten Filmhälfte. Hier tritt die Beziehung zwischen Hero und Baymax in den Hintergrund um Platz für die Erschaffung der anderen Superhelden zu lassen. Diese jedoch geraten fast ausnahmslos austauschbar. Des Weiteren ist der Storyverlauf recht vorhersehbar und das Finale etwas sehr over-the-top. Liebevoll in den Film integriert sind hingegen alle Referenzen an Filme, die Baymax offensichtlich inspiriert haben. Hier seinen naheliegende Streifen wie The Avengers, Terminator 2 und Stargate erwähnt, doch auch Fans von Mission: Impossible dürften sich in einer Szene an den Actionklassiker erinnern. Zu guter Letzt profitiert Baymax von beiden charakteristischen Eigenheiten der Produktionsstudios Disney und Marvel. Vor Beginn des Hauptfilmes platziert Disney den Kurzfilm Liebe geht durch den Magen, die Post-Credit- Scene von Marvel beschäftigt sich mit der Familie von Ober-Nerd Fred (einem Big Hero 6- Mitglied). Beide Ergänzungen werden Film- und Comicfans begeistern. So wie es zum Großteil auch Baymax tut.

8/10


Für Fans von: Wall-E, Die Unglaublichen

Donnerstag, 22. Januar 2015

Ein Film voller Rätsel




The Imitation Game

Angeführt von einem großartigen Schauspielensemble rund um die zu recht oscarnominierten Benedict Cumberbatch und Keira Knightley entwirft der Norweger Morten Tyldum in seinem ersten englischsprachigen Film einen vielschichtigen und packenden Mix aus Biopic, Spionagefilm und Liebesdrama, der allerdings nicht ohne Schwächen auskommt. Leben und Wirken von Alan Turing werden in The Imitation Game thematisiert. Der geniale britische Mathematiker entwickelte zur Entschlüsselung des Enigma-Codes der Nazis im 2. Weltkrieg einen ersten Vorläufer moderner Computer und war zeitlebens wegen seiner Homosexualität Repressalien ausgesetzt. Vor allem der letztgenannte Aspekt hat im Film den stärksten emotionalen Punch. Für alle, die mit Turings Biografie nicht vertraut sind, sei ein Kinobesuch daher ohnehin empfohlen, alle anderen sind zwar auf seine Entwicklung vorbereitet, der Ton im letzten Teil des Films wird sie dennoch ergreifen. Seine Spannung bezieht The Imitation Game zu einem Großteil aus der Notwendigkeit Turing und sein Team unter absoluter Veschwiegenheitspflicht arbeiten zu lassen. Auch wenn man auf die Konflikte innerhalb der Gruppen detaillierter hätte eingehen können, so sind die Dialoge zwischen Wissenschaftlern und Militärs wie Agenten äußerst unterhaltsam geschrieben. Dazu sorgen dann auch die gut gecasteten Nebendarsteller, allen voran Mark Strong und Charles Dance. Das zentrale Problem von The Imitation Game ist dann im Drehbuch zu finden. Um die ermüdende Arbeit der Codeknacker zu dramatisieren, werden immer wieder arg konstruierte Szenen ins Geschehen eingebunden. Dazu präsentiert uns Regisseur Tyldum die Geschichte des Alan Turing auf 3 verschiedenen Zeitebenen. Die Rahmenhandlung um einen Einbruch im Appartement des Mathematikers und die Aufdeckung der Ereignisse im 2. Weltkrieg viele Jahre danach, sowie der Rückblick auf Turings Schulzeit bremsen die Haupthandlung doch stetig aus und kommen erst im bewegenden Finale schlüssig zusammen. Außerdem werden ständig Originalaufnahmen des Kriegsgeschehens eingebunden. Somit bleibt lange Zeit unschlüssig, ob The Imitation Game Spionagegeschichte oder Biografie sein will. Das Nebeneinander dieser Teile bleibt problematisch. Ein spannender Einblick in das Leben eines Opfers seiner Zeit ist The Imitation Game aber in jedem Fall.

7/10


Für Fans von: A beautiful mind,

Mittwoch, 21. Januar 2015

Ein ganz normaler Elternabend







Frau Müller muss weg

Der bewegte Mann, Das Wunder von Bern, Deutschland Ein Sommermärchen. Dies sind Filme, mit denen Sönke Wortmann im deutschen Filmgedächtnis haften blieb. Komplett andersartig kommt nun sein neuster Streifen daher. Die Theaterverfilmung Frau Müller muss weg bleibt seiner Herkunft von der Bühne stets treu und überzeugt im Gewand eines Kammerspiels als böse Abrechnung mit Helikoptereltern und dem chaotischen deutschen Schulsystem. Fünf Erziehungsberechtigte (unter anderem prominent besetzt mit Justus von Dohnanyi, Ken Duken und Anke Engelke) möchten der Klassenlehrerin ihres Zöglinge, Frau Müller, zum kurzerhand einberufenen Elternsprechtag nahelegen, ihre Klasse abzugeben. Zeugnisse, die über die Versetzung ihrer Kinder aufs Gymnasium entscheiden, stehen kurz bevor. Die Eltern sind unzufrieden. Fortan sehen wir, wie angestaute Ängste, Vorurteile und verschiedene Erziehungsansätze stetig eskalieren. Ein solcher Film steht und fällt natürlich mit seinem Drehbuch, doch Regisseur Wortmann kann sich hier auf seinen Drehbuchautor Lutz Hübner, der auch das zugrunde liegende Theaterstück schrieb, verlassen. Die Dialogduelle der Eltern mit Frau Müller und auch untereinander sind schlicht großartig. Immer wieder brechen sich ungeahnte Charakterzüge bahn, und obgleich jedes Elternteil das Wohl des eigenen Kindes als Motivation vorgibt, so bröckelt diese Fassade stetig. Für den Zuschauer wird Frau Müller muss weg somit zu einem wahren Vergnügen. Zwar schafft es der Streifen nicht durchweg zu fesseln, vor allem im dritten Viertel des Films wird sich etwas zu weit von der Bühnenherkunft entfernt, weil doch arg viele Nebenschauplätze präsentiert werden, doch der sarkastische und oftmals entlarvende Humor unterhält prächtig. Dazu ist die finale Wendung des Films schlicht genial. Frau Müller muss weg ist ein toll gespielter und geschriebener Film mit bitteren Wahrheiten, der in seinen besten Momenten übereifrigen Eltern den Spiegel vorhält.

8/10


Für Fans von: Der Gott des Gemetzels

Sonntag, 18. Januar 2015

Zu wahr, um schön zu sein







Unbroken

Halte durch, dann kommst du durch. Das Motto, das Louis Zamperini von seinem Bruder auf den Weg gegeben wird, trifft zynischerweise auch auf jeden zu, der sich zu Unbroken ins Kino wagt. Das biografische Survival-Drama ist trotz und wegen aller Stärken und Schwächen vor allem zu lang. Doch von vorn. Zamperinis Lebens- und Leidensgeschichte ist prädestiniert für großes Hollywoodkino. Schließlich war es die Überfrau der Traumfabrik, Angelina Jolie, die sich den Regisseursposten bei dessen Verfilmung sicherte. Mit unverbrauchten Gesichtern vor und preisgekrönten Kultstars (Drehbuch von den Coen- Brüdern, Musik von Alexandre Desplat, dazu Roger Deakins als Cinematograph) hinter der Kamera hätte Unbroken ein großes Stück Kino werden sollen. Doch erzählerisch läuft der Film komplett aus dem Ruder. Louis Zamperinis Jugend wird im Wechsel mit seiner aktiven Zeit als olympischer Langstreckenläufer und Soldat im zweiten Weltkrieg als Rückblende gezeigt. Ein Stilmittel welches im kompletten Streifen nie wieder aufgegriffen wird. Das größte Stück der 137 Minuten Laufzeit schauen wir Hauptdarsteller Jack O'Connell beim gottgleichen Überleben zu. Zuerst erträgt er mittels Glauben, zum einen an die innere Stärke zum anderen zur plötzlich gefundenen Religion, 45 Tage Hunger und Verzweiflung auf einem Rettungsboot, schließlich wird er über zwei Jahre vom sadistischen Aufseher Wantanabe (verkörpert vom japanischen Rockstar Miyavi) in verschiedenen Kriegsgefangenenlagern gequält. Ständig sieht sich Zamperini neuen Strapazen ausgesetzt, ständig hält er diesen heroisch stand. Auch wenn ich Unbroken technisch keine Vorwürfe machen kann, so überhöhen Jolies Regie und leider auch Deakins Kameraarbeit das Erdulden von Qualen unnötig. Dazu nimmt dieser Aspekt die zentrale Position des Films ein und wird über fast eineinhalb Stunden in Variationen wiederholt. Richtiges Drama kommt dabei nicht auf. Traurig ist auch, dass die zentrale Aussage von Laura Hillenbrands titelgebendem Buch, das Unbroken als Vorlage diente, fast gänzlich im fertigen Film fehlt. Louis Zamperini machte sich zeitlebens für die Kraft der Vergebung stark und fuhr nach Japan um seinen ehemaligen Peinigern zu verzeihen. Lediglich ein paar Textzeilen vor dem Abspann lassen uns an der wahrlich beeindruckenden Leistung seines Lebens teilhaben. Somit wurde die Chance einen großen Film über ein großes Leben zu schaffen (Louis Zamperini starb erst 2014 im Alter von 97 Jahren) leider vertan.

4/10


Für Fans von: Forrest Gump, Papillon

Samstag, 17. Januar 2015

Schwedisches Best-of







Schändung

Schändung ist die zweite Kinoproduktion eines Romans aus der Feder von Jussi Adler- Olsen, die vom Sonderdezernat Q der schwedischen Polizei und deren Ermittlungen an alten Kriminalfällen erzählt. Wie gewohnt geht des bei skandinavischen Thrillern düster zu, teils brutal. Hinter der Fassade eines jeden Menschen lauern verborgene Geheimnisse, reiche, verwöhnte Männer sind per se böse und der Hauptkommissar hat mit privaten Problemen zu kämpfen. Da diese Erkenntnisse keinen Krimifan vom Hocker reißen, ist Schändung allenfalls für Neulinge spannend und überraschend. Leider gibt es im gesamten Film keine Entwicklung und keinen Twist die für großes Staunen sorgen könnten. Ein Grund, auf dem dieser Fakt fußt, ist die uneinheitliche Erzählweise. Zum Teil geben die Drehbuchautoren den Zuschauern durch Rückblenden einen Vorsprung vor den Ermittlern und bauen somit Suspense auf, im Gegensatz dazu wird nach klassischem Whodunit-Muster Spannung aufgebaut, als die Kinogänger mit den Polizisten gemeinsam Zeugen befragen und Beweise suchen. Durch diese Stilmischungen lässt sich die nächste Storyentwicklung immer vorausahnen. Dazu fehlt dem Zuschauer eine Figur zum mitfiebern. Anders als bei vergleichbaren schwedischen Krimiverfilmungen gibt es in Schändung keine Charaktere vom Format eines Kurt Wallander, oder einer Lisbeth Salander, deren Persönlichkeiten schon einen beachtlichen Unterhaltungswert haben. Unser hier ermittelndes Polizistenduo wirkt wie alle handelnden Akteure beliebig und austauschbar. Zu Gute halten muss man Schändung seinen vielfältigen Look, der klar über TV-Produktionen hinaus geht. Auch der eigentliche Mordfall und seine Auflösung ist spannend und glaubhaft konstruiert. Alle Fans von Thrillern über reiche Kinder an zwielichtigen Internaten sollten jedoch lieber zur DVD von Die Purpurnen Flüsse greifen.

5/10


Für Fans von: Verblendung, Die purpurnen Flüsse, Wallander-Verfilmungen

Freitag, 16. Januar 2015

Ein Heiliger mitten unter uns







St. Vincent

Den Kult-Gastdarsteller Bill Murray in einer Hauptrolle zu sehen, sollte jedem Filmfan ein Kinoticket wert sein. Und sein Charakter ist dann auch einer der Gründe die definitiv für die Komödie St. Vincent sprechen. Als saufender und fluchender Witwer mit Hang zu Prostituierten und Pferdewetten kann Murray dem Affen hier ordentlich Zucker geben. Besonders die erste Filmhälfte widmet Theodore Melfi in seiner ersten Regiearbeit ganz dem eigentlichen Menschenfeind und der Beziehung zu dessen Nachbarjungen. Einen wesentlich ersteren Part übernimmt überraschenderweise Vollblutkomikerin Melissa McCarthy als Mutter von Letzterem. Sie überzeugt in der Darstellung einer Alleinerziehenden, die krampfhaft versucht Arbeit und Erziehung unter einen Hut zu bekommen. Komplett gegen den Strich besetzt ist außerdem Naomi Watts, die in ihrer Rolle als osteuropäische Stripclubtänzerin zwar nur ein wandelndes Klischee ist, mit ihrem schauspielerischen Können die Figur jedoch nie bloßstellt. Es ist symptomatisch für eine Komödie wie St. Vincent, dass alle ernsteren, tiefgründigeren Szenen im Film wesentlich besser gelungen sind. Nach einer arg vorhersehbaren und langatmigen ersten Filmhälfte steigert sich das Drehbuch doch deutlich. Richtige Spannung mag nicht aufkommen, auch wird St. Vincent nie im kulturellen Gedächtnis hängen bleiben, doch manche Entwicklung hätte ich so nicht kommen sehen. Dazu punktet St. Vincent mit einem coolen Hippie- Soundtrack und hat mit Chris o'Dowd, der auch schon vor kurzer Zeit in Am Sonntag bist du tot eine prägnanten Auftritt hatte, einen sagenhaft witzigen Sidekick. St. Vincent ist somit gute Unterhaltung mit dem Herz am richtigen Fleck.

7/10


Für Fans von: Der Duft der Frauen, Gran Torino

Sonntag, 11. Januar 2015

Schlechte Erziehung, Teil 3







96 Hours – Taken 3

Einmal mehr schlüpft Liam Neeson in die Rolle eines alternden Actionheldens, die ihm in den letzten Jahren eine Art zweiten Frühling verschaffte. Im dritten Teil des Taken- Franchises bekommt er mit Forest Whitaker einen der größten Schauspieler unserer Zeit entgegengestellt. Damit erschöpfen sich auch schon alle positiven Aspekte von Taken 3. Denn anders als die Reputation beider Hauptdarsteller ist das fertige Produkt in allen Maßen enttäuschend und teils beleidigend. Ein Actionfilm braucht kein tiefgründiges und überraschendes Drehbuch um richtig gut zu sein – das perfekte Beispiel liefert diese Filmreihe selbst. Der Erstling Taken (in Deutschland unter 96 Hours bekannt) war ein kompromissloser Selbstjustitzfilm, der mich komplett überzeugte. Taken 3 hingegen ist weder durchdacht noch logisch. Auch wenn das Überwinden physikalischer Gesetze ein großer Reiz des Actionkinos ist, so muss man nicht das Skript selbst auf Unmöglichkeiten aufbauen. Der komplette Storyverlauf und alle Handlungen einzelner Personen in diesem sind vorhersehbar und geschehen stets ohne Begründung wider eines gesunden Menschenverstandes. Dazu badet Regisseur Olivier Megaton ununterbrochen in billigsten Klischees. Von einer Toilettenszene mit kreischenden College-Mädchen bis zum donutsüchtigen Hilfspolizisten – Taken 3 würde stellenweise gut als eigene Persiflage funktionieren. Die gravierendsten Schwächen finden sich aber auf der technischen Ebene. Einen schlechter gefilmten wie geschnittenen Streifen zu finden, dürfte in absehbarer Zeit eine Herausforderung werden. Die Kameraarbeit ist lausig, der Zuschauer wird regelmäßig mit hektischen und konzeptlosen Schnitten und Anschlussfehlern vor den Kopf gestoßen. Kaum eine Actionsequenz wurde von Liam Neeson noch selbst gedreht. Sein Stuntdouble aus dem Sichtfeld zu nehmen, scheint ein Hauptanliegen des technischen Stabs gewesen zu sein. Nicht das dies dazu noch misslingt– es geht auch jegliches Verständnis für den Ablauf einer Szene verloren. Außerdem wurde Taken 3 in den USA mit einem PG-13 Rating in die Kinos gebracht. Dadurch ist der Film komplett blutleer und auch für treue Fans der Reihe nicht zu empfehlen, da die Härte des Tons, die der Geschichte innewohnen soll, zu keinem Zeitpunkt den weichgespülten Bildern entspricht. So ist Taken 3 ein komplettes Desaster geworden.

2/10

Freitag, 9. Januar 2015

Argentinische Spezialitäten



Wild Tales – Jeder dreht einmal durch

Sechs miteinander nicht verwobene Geschichten über Menschen, die ihren Frust gnadenlos ausleben, bieten die Basis für die argentinische Episodenkomödie Wild Tales. Mit dieser zynischen und respektlosen Farce schaffte es Regisseur Damián Szifron auf die Shortlist des besten Nicht-englichsprachigen Films für die anstehende Oscarverleihung – ein Erfolg wäre ihm sehr zu wünschen. Denn obwohl bei einem Episodenfilm naturgemäß nicht alle Teile herausragen können, so bleiben einige Bilder dauerhaft im Gedächtnis der Zuschauer. Exemplarisch seien dafür zwei Geschichten angesprochen. Zum einen „Die Straße zur Hölle“, in puncto Szenenaufbau und Zuspitzung einer Situation im Film von geradezu lehrbuchhafter Präzision, zum anderen das große Finale „Bis dass der Tod euch scheidet“, ein anarchisches Fest grotesker Aktionen und Reaktionen. Mehr als einmal weht hier der Geist des großen Pedro Almodovar durch den Film, der in Wild Tales als Produzent mit an Bord ist. Aber auch fast alle anderen Episoden lassen den Zuschauer mit gellendem Gelächter zurück. Ein besonders eindringlich angesprochenes Thema in Wild Tales ist der gigantische argentinische Staatsapparat. Die Episoden „Bombito“ und „Die Rechnung“ stellen Korruption und Beamtenwillkür gnadenlos an den Pranger. In diesen und allen anderen Geschichten steht zu Beginn der Einzelne und ein aufkeimendes Problem. Am Ende eines jeden Parts stehen Gewalt und Verwüstung. Die systematische Eskalation jedoch ist stets überraschend und unwahrscheinlich unterhaltsam. Ein absoluter Tipp!

9/10

Für Fans von: Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, Four Rooms

Mittwoch, 7. Januar 2015

In loving memories of James Gandolfini







The Drop – Bargeld

Ein derart großartig besetztes Hollywooddebüt hat es für einen Regisseur wohl selten gegeben. Der Belgier Michael R. Roskam konnte für seinen Erstling The Drop die großartigen Charakterdarsteller Tom Hardy und James Gandolfini vor der Kamera versammeln, die tatkräftig von zwei der angesagtesten Europa-Exporte der Traumfabrik unterstützt werden. Mit Michael Schoenaerts und Noomi Rapace ist dieses melancholische Gangsterdrama auch in den Nebenrollen bestens besetzt. Dazu konnte sich Roskam auf Drehbuchautor Dennis Lehane verlassen, der seinen eigenen Roman für die große Leinwand aufbereitete. Aus dessen Feder stammten bislang auch die Vorlagen zu Shutter Island, Gone Baby Gone und Mystic River. Glücklicherweise wird The Drop diesen großen Köpfen ihrer Fächer auch fast in Gänze gerecht. Vor allem Hauptdarsteller Tom Hardy legt binnen wenigen Monaten seinen zweiten, mehr als beeindruckenden Auftritt hin. Zwar stemmt er nicht, wie in Locke – No turning back, den kompletten Film allein, sein Charakter ist jedoch einmal mehr Dreh- und Wendepunkt der kompletten Geschichte. Hardy überzeugt dabei mit einer subtilen Mimik, die viel erahnen lässt und eine unterschwellige Spannung aufrecht erhält, welche sich sukzessive ins unermessliche steigert. Der bereits verstorbene James Gandolfini gibt an seiner Seite eine letzte, denkwürdige Vorstellung als Getriebener der eigenen Entscheidungen, dem das Mitgefühl der Zuschauer gehört. The Drop ist trotz seiner Ansiedlung im Gangstermilieu Brooklyns äußerst bedächtig inszeniert. Auf ausufernde Dialogduelle, oder rasante Actionszenen wird konsequent verzichtet. So unterläuft der Film die Erwartungen an einen klassischen Thriller und richtet sich an ein kleineres Publikum. Dabei setzt Regisseur Roskam auf große Authentizität und verlässt die dokumentierende Position nur in zwei kurzen Sequenzen, in denen Tom Hardys Figur als Erzähler fungiert. Kleine Verbesserungen am Drehbuch hätten The Drop jedoch geholfen. Zum einen sind Begegnungen teilweise etwas arg zufällig, sodass die Geschichte an manchen Punkten etwas konstruiert erscheint, zum anderen hätten die auftretenden tschetschenischen Gangster etwas weniger klischeehaft gezeichnet werden können. Schlussendlich ist The Drop aber ein feiner, kleiner Film und gleichzeitig das Ende einer großen Karriere und vielleicht auch der Beginn einer solchen. 

8/10


Für Fans von: Cop Land, Tödliche Versprechen,

Wardaddy auf gefählicher Mission



Fury – Herz aus Stahl

In Fury sehen wir Brad Pitt als Quasi-Gegenentwurf zum von ihm ebenfalls verkörperten Lt. Aldo Raine aus Inglorious Basterds. Zwar ist er in beiden Filmen als Anführer zu sehen, in Fury trägt sein Don Collier den Spitznamen „Wardaddy“ nicht umsonst. Als Vaterfigur kämpft er, der Kopf einer amerikanischen Panzerbesetzung in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs, im nahezu komplett besetzten Deutschland gegen das Chaos des Krieges, das in Form von gegnerischen Soldaten und den Spannungen in seinem Team stets allgegenwärtig ist. Der oscarprämierte (als Produzent für 12 Years a Slave) Kultschauspieler gibt seinen Veteran teils scheinbar grausam, doch oftmals auch beschwichtigend und fast einfühlsam. Von einem Nebendarsteller jedoch wird er deutlich übertroffen. Überraschenderweise brilliert Shia „I am not famous anymore“ LaBeouf als dauerbetender Panzerschütze, der passenderweise „Bible“ genannt wird. LaBeouf hat in dieser Rolle das Method Acting für sich entdeckt. Er duschte über Wochen nicht und ließ sich nur von mehreren Securityleuten aus dem Panzer ziehen. Ob all dies notwendig war, sei dahingestellt, LaBeoufs Leistung ist in jedem Fall beeindruckend intensiv. Technisch kann ich bei Fury keine Abzüge machen. Die Gefechte sind packend und äußerst brutal inszeniert (man nutzte erstmals die von Archivmaterial bestätigte verschiedenfarbige Leuchtmunition, um Schusswechsel auch optisch erlebbarer zu machen) und die Szenen im Bauch des titelgebenden Panzers verfehlen ihre klaustrophobische Wirkung nicht. Das Drehbuch hingegen ist etwas zu offensichtlich an Der Soldat James Ryan angelehnt, es wurden jedoch schon uninspiriertere Kriegsfilme abgeliefert. Glücklicherweise verzichtet Regisseur David Ayer auf ausufernden Hurra- Patriotismus à la Lone Survivor und inszeniert die deutsche Bevölkerung nicht nur als stramme Nazis. Ein äußerst amerikanischer Blick auf das Geschehen bleibt für die Kinogänger hierzulande dennoch. Somit ist Fury mehr Actionfilm als Geschichtsdrama, aber allemal unterhaltsam. 

7/10


Für Fans von: Der Soldat James Ryan, Die Brücke