Donnerstag, 3. März 2016

Für alle Klassen



Das Tagebuch der Anne Frank

Die 2016er Verfilmung des Tagebuchs der Anne Frank ist nunmehr die vierte internationale Kinoauswertung des Stoffes. Dazu kommen mehrere Fernsehadaptionen, ein japanischer Anime sowie zahllose Dokumentationen, die sich mit dem Schicksal der jüdischen Familie beschäftigen. Der nun vorliegende Streifen ist allerdings die erste deutsche Produktion, realisiert von Hans Steinbichler in Kooperation mit dem Anne Frank Fonds, dem internationalen Rechteverwerter und Alleinerbe, gegründet von Anne Franks Vater Otto . Einer solch global bekannten und einflussreichen Vorlage neue Facetten abzugewinnen ist dementsprechend schwierig. Und auch wenn Das Tagebuch der Anne Frank kein vollkommener Film ist, so überzeugt er zumindest in seiner kompletten Subjektivierung. Allein Anne ist es, durch die der Zuschauer einen Einblick in die zweijährige Isolation im berühmten Hinterhaus der Amsterdamer Prinsengracht 263 gewährt bekommt. Anne beherrscht nahezu jede Szene, die präzise Kameraarbeit verdeutlicht dabei die Eigenschaften des Teenagers, eine detaillierte Beobachterin zu sein. Zusätzlich lässt Steinbichler seine Protagonistin besonders aussagekräftige Passagen ihres Tagebuchs direkt in die Kamera sprechen. Mit Nachwuchsstar Lea van Acken ist die vielschichtige Rolle auch ideal besetzt. Generell kann dem Cast, dessen bekannteste Mitglieder Martina Gedeck und Ulrich Noethen sind (sie spielen Annes Eltern), kein Vorwurf gemacht werden. Dazu gefällt Das Tagebuch der Anne Frank durch seinen Look, der stark von einem feinen Gefühl für Licht und Farben geprägt ist. Das Kammerspiel verliert dadurch viel von seiner Trägheit. Dem entgegen wirkt allerdings das Passing des Films. Besonders im dritten Viertel, als alle Konflikte auserzählt sind und die Spannung ob des bekannten Ausgangs der Geschichte bereits nachlässt, spürt man die 128 Minuten Lauflänge des Films deutlich. Eine präzise Charakterstudie in historischen Kontext lässt sich unterhaltsam auch in deutlich unter zwei Stunden inszenieren. Was einige Szenen zusätzlich unangenehm erscheinen lässt, ist die unablässige, melodramatische Musikuntermalung. Der bedrückende Score lenkt die Emotionen der Zuschauer aufdringlich in die gewünschte Richtung und lässt keinen Raum zur Reflexion. Ein weiterer Schwachpunkt des Streifens ist dessen Ende. Mit der Entscheidung auch die Zeit der Franks im KZ Auschwitz in den Film zu integrieren, wird dem Geschehen auch hier seine Brisanz genommen, die sonst im Kopf des Zuschauers entstünde. Während die Besatzung der Niederlande durch die Nazis im kompletten sonstigen Filmverlauf nur die grausige Hintergrundmusik für die Charakterisierung einer jungen Frau ist, entfernt sich Das Tagebuch der Anne Frank in den letzten Zügen von dieser eigentlich gelungenen Erzählweise, die dem Originalstoff auch am nächsten kommen würde. So bleibt eine toll ausgestattete und gespielte Literaturverfilmung, die zu offensichtlich Bildungsfernsehen sein möchte.

6/10

Für Fans von: Sophie Scholl – Die letzten Tage, Der Pianist, Das Leben ist schön



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