Samstag, 19. März 2016

Ein Platz für die Ewigkeit



Raum

Raum ist nun der letzte der großen Oscarfilme 2016, der in die deutschen Kinos kommt. Die in unseren Breiten durch den Fall Natascha Kampusch allgegenwärtige Geschichte vom entführten Mädchen, seiner Flucht und der anschließenden zweifelhaften medialen Aufarbeitung des Martyriums ist jedoch nicht die Vorlage des Films von Lenny Abrahamson. Raum entstand nach dem gleichnamigen Bestseller von Emma Donoghue, die sich auch für das vielschichtige Drehbuch verantwortlich zeigt. Der Film beginnt mit der berührenden Geburtstagsfeier für den nun fünfjährigen Jack. Als Sohn der entführten Joy kennt er nur die Enge und die schlechten Lebensbedingungen des Schuppens, in dem seine Mutter seit nunmehr 7 Jahren gefangen gehalten und regelmäßig missbraucht wird. In den folgenden 118 Minuten gelingt Raum das Kunststück trotz seiner erdrückenden Thematik, die definitiv für zahlreiche Tränenausbrüche sorgen wird, ein lebensbejahender Film zu sein. Vor allem, da die Erzählperspektive oft beim kleinen Jack (phänomenal: Jacob Tremblay) liegt, bekommen zugleich die Selbstverständlichkeit, mit der er sein Gefängnis als gesamte Welt wahrnimmt und die späteren Entdeckungen des realen Lebens ein unglaubliches Gewicht. Die trotz aller Beengtheit scheinbar schwerelose Kamera und der sehr locker- atmosphärische Score unterstützen den Freiheitsdrang der jungen Mutter, den sie aber stetig vor ihrem Sohn versteckt hält. Dem eindrucksvollen Spiel von Oscargewinnerin Brie Larson ist es zu verdanken, dass dieser schmale Grat zur herzzerreißenden Geduldsprobe für den Kinobesucher wird. Die Emotionalität des Films steigert sich noch zusätzlich, da das Grauen von Raum fast ausschließlich im Kopf des Beobachters entsteht. Die kaum zu ertragende Abhängigkeit von Mutter und Sohn bestimmt auch die zweite Hälfte des Films, die sich glücklicherweise nur mit den psychologischen Auswirkungen der Entführung beschäftigt, nicht mit dem kriminalistischen Aspekt des Verbrechens. Die in (äußerlicher) Freiheit spielenden Szenen vermitteln damit ein fast noch stärkeres Gefühl der Bedrückung, als es die reine räumliche Enge vermochte. Denn Joy wird zwischen den Erfahrungen durch den Missbrauch, der Angst um ihren Sohn durch die realitätsferne Erziehung und die durch die Medien eingeimpfte Frage der Mitschuld unentwegt aufgerieben. Die Suche nach Erklärungen und Schuldigen abseits ihres Peinigers löst in ihr dann die Verzweiflung aus, die sie all die Jahre aus Liebe zu ihrem Sohn versteckt hielt. Doch Jack ist es schlussendlich auch, der ihr und den Zuschauern einen hoffnungsvollen Ausgang der Geschichte ermöglicht. Raum ist beeindruckendes Schauspielkino mit langer Nachwirkung.

9/10

Für Fans von: 3096 Tage, Prisoners, Oldboy

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