Samstag, 26. März 2016

Der Geist der Freiheit


Mustang

Mustang ging in diesem Jahr als französischer Beitrag für den besten nicht englischsprachigen Film bei der Oscarverleihung an den Start. Über eine Nominierung kam das Drama zwar nicht hinaus, doch internationale Aufmerksamkeit war dem in türkischer Sprache und mit fast ausschließlich türkischen Akteuren gedrehten Film gewiss. Mustang ist das Regiedebut von Deniz Gamse Ergüven, die sowohl die französische als auch die türkische Staatsbürgerschaft innehat. Sie siedelt ihren ersten Langfilm in einem abgelegenen Dorf am Schwarzen Meer an. Fünf Schwestern im Teenageralter werden zusehends von patriarchalen Gepflogenheiten und rückständigen Gesellschaftsbildern drangsaliert. Als durch üble Nachrede das Ansehen der Familie der Schwestern im Dorf infrage gestellt wird, beginnt der erziehungsberechtigte Onkel der Kinder (ihre Eltern starben vor einiger Zeit) jegliche Freiheit der eigentlich unabhängigen und offenen Jugendlichen einzuschränken. Die aufgezwungene Umerziehung der Mädchen zu unterwürfigen Frauen ohne Recht auf einen eigenen Willen, Rechte über den eigenen Körper oder nur das Recht auf Schulbildung stellt mit dem Hintergrund des Freiheitsdranges der Schwestern den zentralen Konflikt des Filmes dar. Ergüven findet dafür besonders auf der optischen Ebene tolle Entsprechungen. Die triste Ausstattung und die biederen Kostüme stehen in krassem Gegensatz zu der teils schwebenden Kamera, den sonnendurchfluteten Bildern und den trotz äußerlicher und innerer Enge hauptsächlich optimistisch und kämpferisch dargestellten Mädchen. Die 93 Minuten Laufzeit bieten so trotz der teils erdrückenden Schwere der Thematik und deren absolut beklemmend-realistischen Inszenierung immer wieder Momente von betörender Schönheit. Hoffnung und unbändiger Wille durchziehen Mustang trotz bitterer Entwicklungen. Emotionen verschiedenster Prägung kommen so beim Kinobesuch zutage. Das Casting des Streifens lässt dabei keine Wünsche übrig. Als faktische Hauptdarstellerin leitet die Lale, die jüngste der Schwestern, gespielt von Güneş Nezihe Şensoy, durch das Geschehen und sorgt durch den Altersunterschied so für den reinsten Blick auf die Geschichte. Dazu kann man das brutale Familienoberhaupt Erol von ganzem Herzen hassen, was für die schauspielerische Leistung von Ayberk Pekcan spricht. So arbeitet sich Mustang gekonnt an den schwierigen gesellschaftlichen Themen der modernen Türkei ab, hinterfragt dabei Werte, prangert mittelalterliche Rollenbilder an und versucht somit letzten Endes den kulturellen Fortbestand solcher archaischer Systeme in der globalisierten Welt einzudämmen. Nicht jeder Filmfreund wird sich auf einen derartigen Streifen voll und ganz einlassen wollen. Wer dies allerdings tut, wird mit einem inhaltlich und optisch äußerst lohnenswerten Film belohnt, der für die ungezähmte und zügellose Freiheit seines Namensgebers kämpft. 

8/10

Für Fans von: Gegen die Wand, El Club


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