Freitag, 1. April 2016

Spaziergang statt Radtour








Silent Heart – Mein Leben gehört mir

Bille August hat sich verdientermaßen in seiner langen und erfolgreichen Karriere sowohl einen Platz unter den Filmemachern europäischen Autorenkinos erarbeitet, ebenso wird er als zielstrebiger Regisseur für größere, internationale Produktionen geschätzt. Und so finden sich in Augusts Vita neben prominent besetzten, englischsprachigen Streifen wie Les Miserables, Fräulein Smillas Gespür für Schnee oder Nachtzug nach Lissabon auch stetig kleinere Werke, die der Däne gern in seiner Heimat dreht. Zu letzterer Kategorie zählt der nun in den Kinos erscheinende Silent Heart. Das minimalistische Kammerspiel erzählt vom Wunsch der ALS-Erkrankten Esther noch unter vollem Besitz ihrer körperlichen Kräfte zu sterben. Zu diesem Zwecke lädt sie ihre gesamte Familie, die sie (zu Beginn) in ihrem Vorhaben unterstützt, zu einem gemeinsamen Abschiedswochenende in ihr abgelegenes Haus ein. Besonders in den Personen beider Töchter von Esther und ihrem Mann Poul lässt Silent Heart Lebensentwürfe aufeinander prallen. Leider scheinen diese gegensätzlichen Charaktere sehr nach Schema F konzipiert wurden zu sein. Zwangsweise prallen komplette Kontrapunkte aufeinander, wenn die Karrierefrau und Bilderbuchmutter auf die promiskuitive Tablettenabhängige stößt. Da die Konflikte des Films allgemein bereits recht früh offengelegt werden und sich erst äußerst spät entladen, kann die erste Stunde der 98 Minuten Laufzeit nur bedingt begeistern. Der klischeehaften Familienkonstellation setzen eiskalte, weißgehaltene Bilder, ein geheimnisvoller, zurückgenommener Score und vor allem der hervorragende Cast einige Pluspunkte entgegen. Besonders die Vertreter der ältesten Generation werden hier perfekt porträtiert. Die dänische Leinwandikone Ghita Nørby und Kultschauspieler Morten Grunwald (Benni aus den Olsenbande-Filmen) führen mit viel Wärme und Erfahrung, die ihre Figuren stets umgeben, ein tolles Ensemble an, aus dem der Eine oder Andere noch Pilou Asbæk (Lucy, Schändung, Borgen-Gefährliche Seilschaften) kennen könnte. Die Melancholie, die Silent Heart des Öfteren umgibt, erscheint so nie aufgesetzt, dazu wird auch die Thematik der Euthanasie nicht hetzerisch abgehandelt. Das Miteinander der Generationen gefällt somit überraschend gut. Wenn sich Silent Heart seiner minimalistischen Anlage folgend, auf seine Kernaussage und die tollen Schauspieler verlassen hätte, wäre hier ein bemerkenswerter Film entstanden. Doch ein schwaches Drehbuch voller Deus-Ex-Machina-Momente lassen ihn im Mittelfeld des europäischen Arthousekinos landen. 

6/10

Für Fans von: Amour, Million Dollar Baby

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