Spotlight
Viele Filme haben seit 1976 versucht
sich als Erben von Alan J. Pakulas Die Unbestechlichen zu
platzieren. Die Mutter aller Enthüllungsjournalismusgeschichten
bleibt allerdings bis heute unerreicht. Auch Spotlight wird daran
nichts ändern, der Kultfaktor von Die Unbestechlichen ist einfach
zu groß. Doch wenn es ein Film schafft, legitimer Nachfolger der
Erzählung um Bob Woodward und Carl Bernstein, dann Spotlight. Tom
McCarthys Drama umgeht den Fehler, sensationslüstern und
effekthascherisch vom Missbrauch katholischer Priester zu erzählen.
Stattdessen rückt er vier Reporter in den Mittelpunkt des Streifens
und erzeugt durch feine Beobachtungen, punktierte Dialoge und
außergewöhnliche Schauspieler zugleich ein Psychogramm der
amerikanischen Ostküstenstadt Boston sowie eine Hommage an den Wert
der Printmedien und ihrer Unterstützer. Regisseur McCarthy und sein
Drehbuchautor Josh Singer konnten sich bereits über viele
Filmpreise freuen und werden wahrscheinlich auch noch einige Trophäen
mehr einsammeln können. Durch die Konzentration auf die vier
Protagonisten erlebt der Zuschauer die emotionalen Auswirkungen des
Missbrauchsskandals deutlich realitätsnaher und nachvollziehbarer,
als es der Fall gewesen wäre, wenn Spotlight die großen Mengen an
Namen, Fakten und Ereignissen ungefiltert ausgegeben hätte. In
Kombination mit den brillianten Akteuren rund um Michael Keaton,
Rachel McAdams, Mark Ruffalo, Liev Schreiber und Stanley Tucci
entsteht so großes und eindrucksvolles Kino ohne große und
eindrucksvolle Mittel. Einen der Schauspieler besonders
hervorzuheben, würde der Errungenschaft des gesamten Casts auch
Unrecht tun. Drehbuchbedingt kommt Mark Ruffalo allerdings der
zentrale, emotionsgeladene Part zu Gute, der sich bei mir besonders
einbrannte. McCarthys Inszenierung ist angemessen zurückhaltend.
Seine Story ist fesselnd genug, technische Spielereien wären fehl
am Platz. Für eine elegante Kameraarbeit und einen präzisen
Schnitt findet der Amerikaner dennoch Platz, weshalb Spotlight, der
hauptsächlich in der Beengtheit von Archiven, Büros und
Konferenzräumen spielt, auch optisch hervorragend gelungen ist.
Dazu beweisen die Filmemacher bei der zeitgeschichtlichen Komponente
ihrer Geschichte viel Feingefühl, wenn sie die Ereignisse rund um
9/11 (Spotlight ist im Jahre 2001 angesiedelt) absolut organisch und
schockierend ehrlich ins Geschehen eingliedern. Ebenso vielschichtig
gelang auch das Portrait der katholischen Kirche. Die Gemeinden sind
bis heute ein zentraler Aspekt des öffentlichen Lebens in Boston,
die Reporter zum Großteil Söhne und Töchter ihrer gläubigen
Stadt. Der Einfluss der Kleriker hinter den Kulissen wird dadurch
zugleich verständlich und bedrohlich. Fans pathosreicher
Kriminalgeschichten sind in Spotlight sicher falsch aufgehoben.
McCarthys Blick auf die Errungenschaften des klassischen Journalismus
richtet sich definitiv an Freunde des vielschichtigen Erzählens und
der starken Charakterbildung. Wer dies mag, wird 128 Minuten lang
einer perfekt getimten aber unaufgeregten Sogwirkung ausgesetzt, die
er so schnell nicht wieder vergisst.
9/10
Für Fans von: Die Unbestechlichen,
Zodiac, State of Play
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