Montag, 15. Juni 2015

Sinfonie der Großstadt







Victoria

Mit Gravity und Birdman hat sich die Plansequenz, oder der Oneshot, in den letzten Jahren wieder einmal ins massenkulturelle Gedächtnis gebrannt. Doch bestimmten hier technische Brillianz und perfekt getimte Zuarbeit das Geschehen, das dankenswerterweise nach, zugegeben eindrucksvollen, Minuten abgelöst wurde. Der deutsche Regisseur Sebastian Schippler zeigt dem Publikum in Victoria nun das vollendete schnittlose Drehen, in dem er 140 Minuten geballtes Kino in einer einzigen Kamerafahrt drehen ließ. Doch bleiben dem geneigten Kinogänger nach Genuss dieses außergewöhnlichen Films nicht vordergründig die technischen Leistungen der Crew, sondern vielmehr die atemlose Geschichte und ihre vielschichtigen Helden im Gedächtnis. Die Madrilenin Victoria lebt seit kurzer Zeit in Berlin und wird nach einem Clubbesuch von den vier Freunden Sonne, Boxer, Fuß und Blinker durch die nächtliche Bundeshauptstadt geführt. Dass der Plot keine liebliche oder alltägliche Entwicklung nehmen wird, ist von der ersten Minute an zu spüren. Und dennoch geht Schippler weit über die üblichen Szeneschilderungen hinaus und entwickelt in Victoria eine ungeahnte emotionale Fallhöhe. Seine Erzählung ist konsequent offen, wie die Stadt in der sie angesiedelt ist. Durch die fließende Kameraarbeit erreicht Victoria eine völlig neuartige Unmittelbarkeit beim Publikum. Das Kino und der Film selbst sorgen hier in ungewohnt vereinigter Art dafür, beim Zuschauer keine Unterbrechung zuzulassen. Ein Pausieren oder Überdenken ist in Victoria nicht möglich. Die Symbiose aus Inhalt und Form durchströmt den Kinogänger bis zum atemlosen Finale konsequent. Das famose Darstellerensemble, angeführt von den großartigen Laia Costa als titelgebende Victoria und Sonne-Darsteller Frederik Lau, unterstreicht den fast schon dokumentarisch-realistischen Look des Films. Fast ohne Drehbuch erarbeiteten Regisseur und Schauspieler Ablauf, Dialoge und Figurencharakterisierung in mehrmonatigen Proben, bevor insgesamt drei Aufnahmen des gesamten Films angefertigt wurden, von denen die letzte nun den Weg in die Kinos gefunden hat. Trotz allen Lobes von meiner Seite, wird nicht jeder in diesem Film sein Heil finden. Dass ein solch existentielles Drama den Mainstreamgeschmack trifft, bleibt zu bezweifeln. Doch zumindest die Leistung des norwegischen Kameramanns Sturla Brandth Grøvlen, der verdienterweise auf der Berlinale mit dem silbernen Bären für herausragende Kameraarbeit bedacht wurde, sollte einem jeden Filmfan das Eintrittsticket wert sein.

9/10

Für Fans von: Als wir träumten, Lola rennt,

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen