Dienstag, 10. Januar 2017

Was weiß der Betrüger schon von Liebe




Die Taschendiebin

Das wohl größte Problem an Die Taschendiebin ist sein Name. Der deutsche Verleihtitel ist mal wieder erstaunlich schlecht gewählt, vermittelt er doch einen viel bösartigeren Eindruck, als dies der internationale Name The Handmaiden (Die Zofe) oder der koreanische Originaltitel machen, welcher übersetzt Das Fräulein lautet. Diese Begrifflichkeiten deuten wesentlich besser in die sinnliche und geheimnisvolle Richtung, die Die Taschendiebin auch einschlägt. Die Geschichte des Filmes ist eine lose Adaption des Sarah Waters-Romans Solange du lügst aus 2002. Dessen Handlung um Heiratsschwindel, Abhängigkeit und verbotene Liebe wurde dazu aus dem viktorianischen England ins japanisch besetzte Korea der 1930er Jahre verlegt. Extremregisseur Park Chan-Wook nutzt diese Mischung aus Motiven und Elementen der östlichen und westlichen Welt dann vorrangig, um einen perfekt ausgestatteten, betörend gefilmten und unerwartet humorvollen Kinostreifen zu kreieren. Mit Hilfe seines Stammkameramannes Chung Chung-Hoon (Ich und Earl und das Mädchen, Stoker) wird der Zuschauer geradezu mit einer Flut aus bezaubernden, weiten Naturaufnahmen und Close-Ups unterdrückter Emotionen beglückt. Die Taschendiebin ist auch dank der tollen Lichtsetzung und des untypischen Schnitts optisch ein perfekter Film. Wer jetzt in Park Chan-Wooks Vita einen Wendepunkt erwartet, den kann ich beruhigen. Die Taschendiebin ist sicher nicht so niederschmetternd wirkungsvoll wie Oldboy oder moralisch aufgeladen wie Lady Venegance, doch mit unerwarteten Wendung zuhauf und einzelnen wohldosierten Gewaltspitzen, bleibt die Handschrift des Regisseurs doch deutlich sichtbar. Wen jetzt die etwas fremde Thematik oder die stattliche Spiellänge von 144 Minuten dazu neigen lassen, einen Kinobesuch zu meiden, dem möchte ich hier noch auf das perfekte Passing von Die Taschendiebin hinweisen. Die zweieinhalb Stunden sind durch eine Dreiteilung der Erzählung und die wendungsreiche Gaunergeschichte richtig kurzweilig geraten. Wer gern über den Tellerrand hinaus schaut oder einen Einstand ins Werk eines der faszinierendsten Regisseure unserer Zeit sucht, dem sei Die Taschendiebin als hinreißend inszenierte Fingerübung empfohlen. 

8/10

Für Fans von: Schnee, der auf Zedern fällt, Carol

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