Freitag, 27. Januar 2017

Der lange Weg zurück




Manchester by the sea

Manchester-by-the-sea ist eine ruhige Kleinstadt im US-Ostküstenstaat Massachusetts. 5000 Einwohner und gelegentliche Gäste aus der naheliegenden Großstadt Boston nutzen das historische Kleinod für Fischerei oder Ausflüge an den berühmten Singing Beach. Inmitten dieser betulichen Idylle bettet (und drehte) Kenneth Lonergan sein nach der Stadt benanntes Drama um Trauerverarbeitung und den tristen Alltag der Arbeiterklasse. Nach dem Tod seines Bruders begibt sich der zurückgezogen lebende Lee Chandler in seine Heimatstadt Manchester-by- the-sea, um nach den Wünschen des Verstorbenen dessen Sohn, seinen Neffen, unter seine Obhut zu nehmen. Regisseur Lonergan kann sich dabei auf sein eigens verfasstes Drehbuch verlassen. Der Zuschauer tappt lange im Dunkeln, warum Lees Rückkehr in der Stadt für Tuscheleien, nervöse Blicke oder offene Ablehnung stößt. Über erstaunlich kurzweilige 138 Minuten entblättert sich Lage um Lage einer zu Tränen rührenden Familiengeschichte und es ist zum Einem dem ausgewogenen und realitätsnahen Skript zu verdanken, dass der Film mit einer relativ einfachen Prämisse niemals an Spannung einbüßt. Zum Zweiten wartet Manchester by the sea mit einem grandiosen Cast auf. Über Hauptdarsteller Casey Affleck ist bereits alles gesagt und geschrieben worden. Derzeit wird er mit Preisen für diese Performance geradezu überhäuft und es macht nicht den Anschein, dass diese Erfolgswelle bis zur Oscarverleihung abebben würde. Doch auch Affleck trägt diesen Streifen nicht alleine. Mir blieben dazu vor allem die Leistungen von Michelle Williams und Lucas Hedges in Erinnerung. Die Shutter Island-Darstellerin ist in nur einer Handvoll Szenen zu sehen, doch reißt diese mit einer schauspielerischen Urgewalt an sich, die kitschfreie und zutiefst menschliche Emotionen nicht nur sichtbar werden lässt, sondern unerwartet auch beim Kinopublikum hervorruft. Nachwuchsstar Lucas Hedges sorgt hingegen für die humorvollen und warmherzigen Momente in Manchester by the sea. Generell ist der Streifen keinesfalls niederschmetternd oder pessimistisch. Gerade die gemeinsamen Auftritte von Affleck und Hedges als ungleiches Team sind trotz aller Ernsthaftigkeit enorm aufmunternd, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Die Kanadierin Lesley Barber steuert des Weiteren einen wahrlich kraftvollen und eindringlichen Score bei, der die ungekünstelte Natürlichkeit des Films hervorragend unterstreicht. Trotz allen Lobes möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Manchester by the sea nicht für ein breites Publikum gemacht wurde. Seine minimalistische und ruhige Erzählweise sowie die Fixierung auf die Entwicklungen der Charaktere kann einigen Kinofreunden als langwierig oder uninteressant missfallen. Doch wie so oft bei Filmen dieser Art lohnt besonders dann ein Gang ins Lichtspielhaus, wenn man sich davon überzeugen möchte, dass große Dramen weder schwülstig noch unzugänglich sein müssen. Machester by the sea ist ein großes kleines Werk über Vergangenheitsbewältigung und die Unfähigkeit zur Kommunikation. 

8/10

Für Fans von: The Place beyond the Pines, We need to talk about Kevin

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