Freitag, 13. Januar 2017

Kein Mais oder keine grünen Bohnen




Hell or High Water

Am Ende ist es das Öl, das Frieden und Wohlstand nach Texas bringt. Hier macht Hell or High Water seinen Standpunkt noch einmal besonders deutlich: Der Wilde Westen ist auch im Amerika des 21. Jahrhunderts allgegenwärtig. Das Leben der Landbevölkerung entbehrungsreich und ungemütlich, das Recht des Stärkeren dank lascher Waffengesetze fest verankert. Nur sind es keine marodierenden Banden mehr, die den Menschen ihr Geld stehlen, sondern gierige Banker. In diesen sozialkritischen Überbau bettet Arthouse- Regisseur David Mackenzie (Young Adam, Toy Boy) ein fesselndes Crime-Drama über zwei Brüder, die zur Tilgung der Hypothek auf ihr Familienanwesen beginnen, Banken auszurauben. Neben der wirtschaftspolitischen Dimension ist die inszenatorische Atmosphäre eine weitere große Stärke von Hell or High Water. Der Neo-Western fühlt sich dank seiner festen Verankerung in der Jetztzeit (selbstverständlich werden E-Zigaretten geraucht oder ständig Smartphones genutzt) niemals unpassend schwelgerisch oder anachronistisch an. Die Motive der handelnden Figuren bleiben vielleicht die gleichen, die Zeiten sind es, die sich ändern. Für diese Entsprechung findet Kameramann Giles Nuttgens (Dom Hemingway, Das Glück der großen Dinge), der bereits mehrfach mit David Mackenzie zusammenarbeitete, dann auch die perfekten Bilder. Seine melancholischen Aufnahmen der endlosen Weiten Westtexas (gedreht wurde allerdings komplett in New Mexico) unterstreichen noch einmal, wie entbehrlich sich der Einzelne angesichts der verbreiteten Trostlosigkeit und Verarmung der Mittelschicht hier fühlt. Hell or High Water geht damit auch ständig den Weg vom Kleinen ins Große. Hier werden persönliche Schicksale mit dem Untergang des ruralen Amerikas verknüpft. In vielen kleinen Szenen am Wegesrand des Geschehens wird dies immer wieder spürbar. Womit ich ein Wort zum Aufbau der Geschichte verlieren möchte. Hell or High Water ist mit 102 Minuten Laufzeit kein langer Film. In Zeiten, in denen sich Blockbusterkino ständig der Zweieinhalbstunden- Grenze nähert, können wir hier ein interessantes Phänomen beobachten. Die Geschichte des Films wird nicht mit neuen Figuren und Verwicklungen in die Länge gezogen, sondern bedient sich eher Erzählmustern von Tarantino oder den Coen-Brüdern, bei denen Filme ja gern in die Breite gehen. Ich kann verstehen, wenn man mit dem gemächlichen Passing von Hell or High Water nicht zurecht kommt, mich persönlich ließ der Streifen allerdings nicht eine Sekunde aus seinem Bann. Hierbei spielte auch das exzellente Schauspiel aller Akteure eine gewichtige Rolle. Chris Pine und Ben Foster geben ein grundverschiedenes, aber durch die Kraft des Blutes eng verbundenes Brüderpaar ab. Pine spielt herrlich konträr zu seinem sonstigen Saubermannimage, Foster gibt wie gewohnt dem Affen ordentlich Zucker. Mit Jeff Bridges steht den beiden das ultimative Südstaatengesicht als Sheriff entgegen. Er mimt zwar nur eine Variation seiner Charaktere aus Crazy Heart und True Grit, doch gibt es einen Grund, aus dem er die Idealbesetzung für diese Art von Figuren ist. Abgerundet wird der großartige Gesamteindruck des Films durch einen stimmungsvollen und mitreißenden Country-Soundtrack des australischen Kultmusikers Nick Cave und seines Weggefährten Waren Ellis (beide schrieben auch schon die Scores für Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford oder The Road). Hell or High Water ist für mich eines der absoluten Highlights der diesjährigen Awardsaison. Ein vielschichtiger, bewegender und herrlich schwarzhumoriger Film. 

9/10

Für Fans von: No Country for old men, Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada

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