Mittwoch, 20. Januar 2016

Die Väter des Wolfs



The Big Short

Mit der Pleite des US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 wurde eine weltweite Finanzkrise ausgelöst, deren Nachwehen bis heute allgegenwärtig im politischen Tagesgeschehen sind. The Big Short erzählt nun von Menschen, die diesen Kollaps kommen sahen, jedoch zwischen der Ignoranz der großen Geldhäuser und ihrer eigenen Profitgier aufgerieben werden. Dieses trockene und den durchschnittlichen Kinogänger fremde Thema dürfte leider dafür sorgen, dass The Big Short größtenteils unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit laufen wird. Dies ist äußerst bedauernswert, denn Adam McKay wirkt in seiner famosen Mischung aus Finanzsatire und Wirtschaftskrimi auf schamlos unterhaltsame Weise genau dem entgegen. Der Anchorman-Regisseur schafft, was ihm wohl die wenigsten zugetraut hätten. Als reiner Komödienspezialist verantwortet er hier die Verfilmung eines undurchdringlichen Sachbuchs, fernab von platten Gags oder eindimensionalen Charakteren. Es ist genau diese Mischung aus brillianten Schauspielern und einem packenden Skript (das der Regisseur selbst schrieb), die aus The Big Short eine cineastische Meisterleistung werden lässt. In den 131 Minuten Laufzeit bombardieren uns die Macher des Films geradezu mit verschiedenen Stilen, Einflüssen und Ideen. Ein extrem dynamischer Schnitt (zurecht oscarnominiert) herrlich absurde Cameos (u.a. Margot Robbie und Selena Gomez als wandelnde Finanzlexika), ein irrer Soundtrack, der hauptsächlich aus Hard Rock- und Heavy Metal-Klassikern besteht und das ständige Durchbrechen der vierten Wand hätten neben anderen Gimmicks schnell Geschichte und Figuren überlagern können. Doch McKay hat die einzelnen Teile seines großen Films ständig unter Kontrolle, sodass der Zuschauer unentwegt gebannt in seinem Sessel mitfiebert. Denn trotz der optischen Raffinesse legt The Big Short seinen inhaltlichen Fokus klar auf die unmoralischen Verflechtungen der Geldinstitute, die die Gier im Menschen geradezu beflügeln. Die erstaunliche (obwohl bekannte) Entwicklung der Story löst im bestmöglichen Sinne Fassungslosigkeit aus. Steve Carell, Christian Bale, Ryan Gosling und Brad Pitt bilden dazu die Vorhut eines, wie bereits erwähnt, hervorragenden Casts. Besonders Carell blieb mir durch seine Leistung vorrangig im Gedächtnis. Er ist die Stimme der Vernunft, der tragische Held, der menschlichste der längst im Dickicht der Finanzwelt entmenschlichten Charaktere. Carell beweist somit auch weiterhin, dass seine hochgelobte Leistung in Foxcatcher kein Einzelfall war. Während Goslings aalglatter Deutsche Bank-Manager vornehmlich als Erzähler fungiert, darf Bale als autistischer Hedgefondsleiter dem Affen ordentlich Zucker geben. Pitt hat als Hardcore- Veganer und Finanzguru im Ruhestand die geringste Leinwandzeit, dominiert aber jede Szene, in der er vorkommt. The Big Short ist ein nahezu perfekt geschriebener und gespielter Parforceritt durch eine Parallelwelt, die uns (und so auch der pessimistische Ausblick des Streifens selbst) nur weiter schaden kann.

9/10

Für Fans von: The Wolf of Wall Street, Margin Call

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