Donnerstag, 7. Januar 2016

Die Kälte im und um den Menschen



The Revenant

Als Alejandro Gonzáles Iñáritu Anfang März 2015 drei Oscars für seine brilliante Satire Birdman entgegennehmen konnte (Bester Film, Beste Regie, Bestes Original-Drehbuch), steckten er und seine Crew bereits in den wohl aufreibendsten Dreharbeiten, die man sich vorstellen könnte. Bedingt durch Iñáritus Vorgaben, keinerlei künstliche Lichtquellen zu nutzen sowie den Film in chronologischer Reihenfolge zu drehen, erhöhte sich das Budget von geplanten 60 auf 135 Millionen Dollar. Dazu verließen viele Mitwirkende das Set während des 9monatigen, strapaziösen Shoots. Auch Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio sprach nach Drehschluss davon, unzählige Male an sein körperliches und seelisches Limit gestoßen zu sein. Doch zumindest für die Kinofans haben sich diese Leiden gelohnt. The Revenant ist ein urgewaltiges, unberechenbares und zugleich wunderschönes wie bestialisches Stück Kinomagie. Iñáritu nimmt uns mit in das amerikanisch-kanadische Grenzgebiet der 1820er Jahre. Wir folgen einer Gruppe von Pelzjägern, die sich stets mit verschiedenen Indianerstämmen, französischen Brigaden und vor allem der erbarmungslosen Natur herumschlagen muss. Die verschiedenen Fronten der Hintergrundgeschichte scheinen gänzlich losgelöst von einer Zeit zu sein, in der nur wenige Jahrzehnte später das Bild der edlen Wilden und sprudelnden Ölquellen die klassische Westernepoche einläuten wird. Doch all dies nutzt The Revenant nur als Aufhänger um eine Survivalgeschichte von ungekannten Ausmaße zu erzählen. Hugh Glass, einer der Trapper, überlebt eines Tages einen Bärenangriff (technisch herausragend umgesetzt) nur knapp, wird zum Sterben zurückgelassen und schwört Rache. In den Händen der meisten Regisseure könnte diese Prämisse in ausgedehnten 156 Minuten zur echten Sitzfleisch-Belastungsprobe werden, doch Iñáritu hält die Spannungskurve und damit das Interesse des Zuschauers stets aufrecht. Denn glücklicherweise kann er sich auf seinen Kameramann Emmanuel Lubezki verlassen. Der zweifache Oscargewinner (2014 für Gravity, 2015 für Birdman) kann sich auch 2016 wieder große Chancen auf die goldene Statue machen. Nicht nur wäre er der erste Mensch, dem dies überhaupt gelang, Lubezkis Stil unterscheidet sich auch wohltuend von den beiden genannten Vorgängern, sodass die epischen Bilder stets aufs Neue begeistern. Der Kameraarbeit ist es auch zu verdanken, dass die Wildnis des amerikanischen Nordens (gedreht wurde in Kanada und wetterbedingt zusätzlich in Feuerland) zum zweiten Protagonisten des Films wird. Ähniche Bilder, die die Erbarmungslosigkeit der Elemente und die berührende Schönheit der Flora und Fauna gleichsam verdeutlichen, wird man so kaum finden. Doch neben all den optischen Highlights profitiert The Revenant an vorderster Front von ganz hervorragenden schauspielerischen Leistungen. Allen voran überzeugt Leonardo DiCaprio als personifizierter Überlebenswille. Der Kampf gegen die widrigen, äußeren Bedingungen und der Schmerz, der sein Inneres zersetzt, lassen sich großartig an DiCaprios Mimik ablesen. Denn generell gilt: In The Revenant wird kaum gesprochen. Sollten Worte von Nöten sein, dann fallen diese kurz, schmerzhaft pragmatisch, oder gleich in der Sprache amerikanischer Ureinwohner aus. Aus der illustren Riege der Nebendarsteller sei hier auf Tom Hardy als narzisstischen Antagonisten, Domhnall Gleeson als ehrenwerten Anführer der Expedition und Will Poulter als gewissenhaften Grünschnabel hingewiesen. Besonders für Gleeson und Poulter bedeutet The Revenant einen gewaltigen Schritt auf der ohnehin schon steilen Leiter zum Schauspielolymp, den beide in den letzten 12 Monaten mit Ex Machina und Star Wars 7, bzw. dem Maze Runner-Franchise und Wir sind die Millers schon anstrebten. Insgesamt muss sich The Revenant allerdings gefallen lassen, mit seinem Hang zu Symbolik und Esoterik den Bogen etwas zu überspannen. Besonders die Fieberträume/Rückblenden/Seelenmanifestationen des dahinsiechenden Hugh Glass wirken teilweise deplatziert. Nichtsdestotrotz ist The Revenant das Survivalabenteuer, an dem sich künftige Filmemacher messen lassen müssen.

9/10

Für Fans von: Apocalypse Now, Die durch die Hölle gehen, Der mit dem Wolf tanzt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen