Donnerstag, 3. September 2015

Sandsturm der Gefühle







Königin der Wüste

Gertrude Bell wurde während ihrer Lebenszeit als einflussreichste Frau der Welt bezeichnet. Die Orientexpertin war zu Beginn des 20. Jahrhunderts zentrale Mittlerin zwischen der westlichen Welt und dem Nahen Osten. Bell wirkte maßgeblich bei der komplizierten territorialen Aufteilung Vorderasiens nach dem ersten Weltkrieg mit, sie war dazu eine treibende Kraft hinter der Gründung des Iraks. Neben ihrer politischen Tätigkeit machte sie sich auch als Schriftstellerin, Übersetzerin persischer Literatur und Alpinistin (noch heute gibt es die Gertrudspitze im Berner Land) auf sich aufmerksam. Mit Bells zahlreichen Reisen zwischen 1899 und 1918, die aus ihr die 'Queen of the Desert' (so auch der Originaltitel des Films) werden ließen, beschäftigt sich die deutsche Autorenfilmlegende Werner Herzog im 2015er Berlinale-Beitrag Königin der Wüste. Herzog legt seinen Fokus während der 128 Minuten Laufzeit uneingeschränkt auf Gertrude Bell. Durch ihre, für eine Dame dieser Zeit, ungewohnt hohe Bildung wurde sie als entschlossene, mutige und auch verschlagene Frau bekannt. An diese Charakterisierung halten sich der Regisseur und seine großartige Hauptdarstellerin Nicole Kidman vollends. Nach Kidmans wirkungslosen Performances in Paddington und Grace of Monaco ist es eine Freude die Australierin wieder auf der Höhe ihrer Schauspielkunst zu sehen. An ihrer Seite überzeugen dazu die überaus spielfreudigen männlichen Nebendarstellern James Franco, Damien Lewis und Robert Pattinson. Letzterer bleibt mit seiner Charakterisierung des legendären Abenteurers T.E. Lawrence zwar im Gedächtnis des Zuschauers, doch alle Ereignisse in Königin der Wüste kulminieren in der Figur der Gertrude Bell. Vor allem wird dies deutlich, wenn Herzog seine Protagonistin auf verschiedene Beduinenstämme treffen lässt. Glücklicherweise umschifft der Film kulturelle Stereotype, stellt Bells britischen Erkundungstross nicht als westliche Invasoren dar und vermeidet die arabischen Wüstenbewohner als zurückgebliebene Fundamentalisten zu vorzuführen. Dass der realen Gertrude Bell dieses Kunststück gelang, glaubt der geneigte Kinogänger durch die gute Leistung Kidmans sofort. Für einen großartigen Film hätte es jedoch noch etwas mehr bedurft als eine detaillierte Aufarbeitung einer Lebensleistung. Königin der Wüste hat vor allem mit mangelnder Spannung zu kämpfen. Herzogs Drehbuch ist arm an Höhepunkten, die Erzählweise recht statisch, das Tempo äußerst gemächlich. Dazu driftet Königin der Wüste in der ersten Hälfte des Films teilweise in ein kitschiges Liebesdrama ab. Die politische Dimension von Bells Schaffen wird kaum beleuchtet. Auch wenn Werner Herzogs Stammkameramann, der Tscheche Peter Zeitlinger, und Kultkomponist Klaus Badelt (Fluch der Karibik) für das nötige epische Feeling sorgen, überzeugt Königin der Wüste zwar als Charakterstudie vollends, als Film jedoch nur teilweise.

6/10

Für Fans von: Lawrence von Arabien, Das Versprechen eines Lebens

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