Donnerstag, 2. Juni 2016

Amerikanische Novelle




Vor der Morgenröte

Die deutsch-österreichische Koproduktion Vor der Morgenröte hat mich von der ersten Sekunde an in ihren Bann gezogen. Mit einer visuell beeindruckenden und phantastisch choreografierten Eingangssequenz entführt uns Regisseurin Maria Schrader in das Südamerika der 30er und 40er Jahre. In 106 ungewöhnlichen und überraschenden Minuten legt sie hier ein erfrischend unkonventionelles Bio-Pic über den großen Wiener Autor Stefan Zweig vor. Zweig floh 1934 vor den auch in Österreich erstarkenden Nationalsozialisten nach London, um sich später für den Rest seines Lebens auf dem amerikanischen Kontinent aufzuhalten. Abgesehen von der bereits angesprochenen Introszene und dem nicht weniger überragend gefilmten und inszenatorisch eine Einheit bildenden Epilog besteht Vor der Morgenröte aus vier ähnlich langen Sequenzen, die den Zuschauer in Echtzeit und einem quasi-dokumentarischen Stil zum reinen Beobachter ausgewählter Szenen aus Zweigs Leben werden lassen. Der erste Akt behandelt den PEN-Kongress in Buenos Aires im Jahre 1936. Hier wird die überlagernde Thematik – Zweigs Kampf um seine künstlerische Integrität – eingeführt. Im Verlauf des Films wird der Schriftsteller wiederholt zwischen seinem Streben nach der Unabhängigkeit seiner Werke und dem Bitten und Flehen seiner Mitmenschen, als prominenter Exilant gleichgesinnten deutschsprachigen Künstlern zur Flucht zu verhelfen und somit gegen seinen Willen politisch aktiv zu werden, aufgerieben. Der zweite Akt verdeutlicht dies, wenn Zweig in Bahia, Brasilien an seiner Monografie über das Land arbeitet, aber seinem Bekanntheitsstatus nicht entfliehen kann. Im dritten Akt bekommt Vor der Morgenröte eine zusätzlich persönliche Komponente. Zweig wird, erneut im Jahre 1941, von seiner ersten Frau Friderike (für den deutschen Filmpreis nominiert: Barbara Sukowa), deren Kindern und seinem Verleger zu verantwortungsvollerem Handeln gedrängt, bevor er im vierten Akt, der kurz vor seinem Tod im brasilianischen Petrópolis spielt, ein scheinbares inneres Glück gefunden hat. Neben der genannten Thematik ist Vor der Morgenröte natürlich ein Film über Exil. Die mutige Entscheidung Maria Schraders, den Film so speziell zu gliedern, setzt, gepaart mit seiner Dialoglastigkeit, beim Zuschauer die Bereitschaft zur Reflexion über das Geschehene voraus, da reißerische und bewertende Szenen über die Flucht als solche nicht geboten werden. Die Inszenierung ist dazu passend streng formal, die Kameraarbeit exzellent und die musikalische Untermalung tadellos. Dazu mischt sich in Zweigs ewig rastlosen Geist viel Lakonie, die sich teilweise in Form erfrischender Komik niederschlägt. Einen großes Lob möchte ich an dieser Stelle noch den Hauptdarstellern aussprechen. Allen voran natürlich dem österreichischen Kultschauspieler Josef Hader, der kaum wiederzuerkennen gegen sein humoristisches Image besetzt wurde und auf ganzer Linie überzeugen kann. Außerdem weiß der deutsche Nachwuchsstar Aenne Schwarz als Zweigs treue Begleiterin, spätere Gattin und Sekretärin in einem, Lotte, in einer undankbaren Frauenrolle restlos zu überzeugen. Vor der Morgenröte ist sicherlich kein einfach zugänglicher Streifen, doch sein Wille zur präzisen und realitätsgetreuen Darstellung der Ereignisse (allein Josef Hader spricht im Film fünf verschiedene Sprachen), seine punktgenaue Inszenierung und sein tolles Ensemble machen ihn zu einem echten Geheimtipp aus unseren Landen. 

8/10

Für Fans von: Steve Jobs

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