Vor der
Morgenröte
Die
deutsch-österreichische Koproduktion Vor der Morgenröte hat mich
von der ersten Sekunde an in ihren Bann gezogen. Mit einer visuell
beeindruckenden und phantastisch choreografierten Eingangssequenz
entführt uns Regisseurin Maria Schrader in das Südamerika der 30er
und 40er Jahre. In 106 ungewöhnlichen und überraschenden Minuten
legt sie hier ein erfrischend unkonventionelles Bio-Pic über den
großen Wiener Autor Stefan Zweig vor. Zweig floh 1934 vor den auch
in Österreich erstarkenden Nationalsozialisten nach London, um sich
später für den Rest seines Lebens auf dem amerikanischen Kontinent
aufzuhalten. Abgesehen von der bereits angesprochenen Introszene und
dem nicht weniger überragend gefilmten und inszenatorisch eine
Einheit bildenden Epilog besteht Vor der Morgenröte aus vier
ähnlich langen Sequenzen, die den Zuschauer in Echtzeit und einem
quasi-dokumentarischen Stil zum reinen Beobachter ausgewählter
Szenen aus Zweigs Leben werden lassen. Der erste Akt behandelt den
PEN-Kongress in Buenos Aires im Jahre 1936. Hier wird die
überlagernde Thematik – Zweigs Kampf um seine künstlerische
Integrität – eingeführt. Im Verlauf des Films wird der
Schriftsteller wiederholt zwischen seinem Streben nach der
Unabhängigkeit seiner Werke und dem Bitten und Flehen seiner
Mitmenschen, als prominenter Exilant gleichgesinnten
deutschsprachigen Künstlern zur Flucht zu verhelfen und somit gegen
seinen Willen politisch aktiv zu werden, aufgerieben. Der zweite Akt
verdeutlicht dies, wenn Zweig in Bahia, Brasilien an seiner
Monografie über das Land arbeitet, aber seinem Bekanntheitsstatus
nicht entfliehen kann. Im dritten Akt bekommt Vor der Morgenröte
eine zusätzlich persönliche Komponente. Zweig wird, erneut im Jahre
1941, von seiner ersten Frau Friderike (für den deutschen Filmpreis
nominiert: Barbara Sukowa), deren Kindern und seinem Verleger zu
verantwortungsvollerem Handeln gedrängt, bevor er im vierten Akt,
der kurz vor seinem Tod im brasilianischen Petrópolis spielt, ein
scheinbares inneres Glück gefunden hat. Neben der genannten
Thematik ist Vor der Morgenröte natürlich ein Film über Exil. Die
mutige Entscheidung Maria Schraders, den Film so speziell zu
gliedern, setzt, gepaart mit seiner Dialoglastigkeit, beim Zuschauer
die Bereitschaft zur Reflexion über das Geschehene voraus, da
reißerische und bewertende Szenen über die Flucht als solche nicht
geboten werden. Die Inszenierung ist dazu passend streng formal, die
Kameraarbeit exzellent und die musikalische Untermalung tadellos.
Dazu mischt sich in Zweigs ewig rastlosen Geist viel Lakonie, die
sich teilweise in Form erfrischender Komik niederschlägt. Einen
großes Lob möchte ich an dieser Stelle noch den Hauptdarstellern
aussprechen. Allen voran natürlich dem österreichischen
Kultschauspieler Josef Hader, der kaum wiederzuerkennen gegen sein
humoristisches Image besetzt wurde und auf ganzer Linie überzeugen
kann. Außerdem weiß der deutsche Nachwuchsstar Aenne Schwarz als
Zweigs treue Begleiterin, spätere Gattin und Sekretärin in einem,
Lotte, in einer undankbaren Frauenrolle restlos zu überzeugen. Vor
der Morgenröte ist sicherlich kein einfach zugänglicher Streifen,
doch sein Wille zur präzisen und realitätsgetreuen Darstellung der
Ereignisse (allein Josef Hader spricht im Film fünf verschiedene
Sprachen), seine punktgenaue Inszenierung und sein tolles Ensemble
machen ihn zu einem echten Geheimtipp aus unseren Landen.
8/10
Für Fans von:
Steve Jobs
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