Moonlight
Schon
die Vorlage für Moonlight widerspricht in ihrer Entstehung den
klassischen Hollywoodregeln. Tarell Alvin McCraney schrieb mit 'In
Moonlight Black Boys look Blue' noch als Schüler ein Theaterstück,
das seine eigene Lebensgeschichte widerspiegelt. Es wurde nie
aufgeführt. McCraney fand schließlich in Regisseur Barry Jenkins
einen Mann ähnlicher Herkunft, mit dem er seine Geschichte in ein
Drehbuch umschrieb. Moonlight entledigte sich der sprunghaften
Erzählweise der Vorlage und wird uns als klarer Dreiakter
präsentiert. Doch damit erschöpfen sich schon die Gewöhnlichkeiten
in diesem wahrlich außergewöhnlichen Film. Protagonist Chiron
(nicht ohne Grund nach dem verstoßenen Halbbruder des Zeus benannt,
der in der griechischen Mythologie weder in der Welt der Menschen,
noch in der der Götter anerkannt war) wächst als Homosexueller im
von Drogen und Kriminalität beherrschten Miami der 80er Jahre auf.
Sein Leben wird nun in drei Episoden beleuchtet. Als 9-, als 16- und
als 26jähriger wird Chiron jeweils ein eigenständiger Kurzfilm von
etwa 35 Minuten zugedacht. Die Hauptcharaktere werden dem Alter
ihrer Figuren entsprechend von verschiedenen Schauspielern
verkörpert, nur Chirons cracksüchtige Mutter Paula (in nur drei
Tagen Drehzeit bahnbrechend gespielt von Naomi Harris) taucht in
allen drei Teilen auf. Doch schnell wird dem Zuschauer hier klar:
Trotz der großartigen Qualität der einzelnen Parts ist das
Gesamtwerk Moonlight viel größer, als die Summe seiner einzelnen
Teile. Den größten Anteil daran hat Regisseur Barry Jenkins, der
seinen erst zweiten Langfilm direkt in das allgemeine
Kulturgedächtnis und zum preisgünstigst produzierten Gewinner des
besten Filmes bei den Oscars überhaupt führte. Es zeigt sich mal
wieder, das auch ein Bugdet von nur 1,5 Millionen Dollar in den
richtigen Händen, ein gigantisches Maß an Kreativität
verwirklichen kann. Mittels einer scheinbar schwerelosen
Kameraführung, fiebrigen, flimmernden Bildern und einer grellen
Retrofarbenpalette findet Chirons einzigartiger Charakter seine
inszenatorische Entsprechung. Untermalt von einem kontrastreichen
Score, der europäischer Klassik entlehnt ist (sogar ein Stück von
Mozart wird im Film verwendet), entsteht so auch auf audiovisueller
Ebene ein enorm vielfältiges und andersartiges Bild, das dem,
ebenfalls oscarprämierten, speziellen Drehbuch jederzeit gerecht
wird. Dieses beschäftigt sich thematisch mit der Position eines
ungewöhnlichen jungen Mannes in der Welt. Wer, wie Chiron, in einem
schwarzen Ghetto aufwächst, in dem die äußere Fassade einen
Menschen ausmacht und das Recht des Stärkeren regiert, lernt
schnell sich anzupassen. Schon als Kind ist sich Chiron so seiner
Andersartigkeit bewusst und reagiert zurückgezogen, schweigsam und
abweisend auf seine Umgebung. Nur der örtliche Drogenboss Juan (als
erster Muslim überhaupt mit einem Schauspieloscar ausgezeichnet:
Mahershala Ali) schafft es in dem Jungen Zuneigung für andere zu
wecken und wird so zum Ersatzvater. In der vielleicht
beeindruckendsten Szene des Films, lehrt Juan Chiron zu schwimmen
(Ali brachte dies dem Kinderdarsteller Alex R. Hibbert während der
Dreharbeiten tatsächlich bei). Schnell entwickelt sich hier eine
Taufe (die metaphorische Namensgebung Juans, als spanische Version
von Johannes dem Täufer ist einfach großartig), Chiron lernt
erstmals zu Vertrauen. Moonlight ist voll von solch berührenden und
emotional aufgeladenen Momenten, die den Zuschauer unerwartet packen
und eine ungemeine Sogwirkung mit sich bringen. Diese wird durch den
allgegenwärtigen Kontrast zwischen inhaltlich hartem Sozialdrama und
inszenatorisch märchenhafter Darstellung noch verstärkt. Bis hin
zum emotional nahezu überfordernden und schlicht großartigen
Finale ist Moonlight in jeder Hinsicht eine Bereicherung für die
Kinowelt.
9/10
Für
Fans von: Boyhood, Blau ist eine warme Farbe, American Honey
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