Freitag, 10. März 2017

I Little II Chiron III Black





Moonlight

Schon die Vorlage für Moonlight widerspricht in ihrer Entstehung den klassischen Hollywoodregeln. Tarell Alvin McCraney schrieb mit 'In Moonlight Black Boys look Blue' noch als Schüler ein Theaterstück, das seine eigene Lebensgeschichte widerspiegelt. Es wurde nie aufgeführt. McCraney fand schließlich in Regisseur Barry Jenkins einen Mann ähnlicher Herkunft, mit dem er seine Geschichte in ein Drehbuch umschrieb. Moonlight entledigte sich der sprunghaften Erzählweise der Vorlage und wird uns als klarer Dreiakter präsentiert. Doch damit erschöpfen sich schon die Gewöhnlichkeiten in diesem wahrlich außergewöhnlichen Film. Protagonist Chiron (nicht ohne Grund nach dem verstoßenen Halbbruder des Zeus benannt, der in der griechischen Mythologie weder in der Welt der Menschen, noch in der der Götter anerkannt war) wächst als Homosexueller im von Drogen und Kriminalität beherrschten Miami der 80er Jahre auf. Sein Leben wird nun in drei Episoden beleuchtet. Als 9-, als 16- und als 26jähriger wird Chiron jeweils ein eigenständiger Kurzfilm von etwa 35 Minuten zugedacht. Die Hauptcharaktere werden dem Alter ihrer Figuren entsprechend von verschiedenen Schauspielern verkörpert, nur Chirons cracksüchtige Mutter Paula (in nur drei Tagen Drehzeit bahnbrechend gespielt von Naomi Harris) taucht in allen drei Teilen auf. Doch schnell wird dem Zuschauer hier klar: Trotz der großartigen Qualität der einzelnen Parts ist das Gesamtwerk Moonlight viel größer, als die Summe seiner einzelnen Teile. Den größten Anteil daran hat Regisseur Barry Jenkins, der seinen erst zweiten Langfilm direkt in das allgemeine Kulturgedächtnis und zum preisgünstigst produzierten Gewinner des besten Filmes bei den Oscars überhaupt führte. Es zeigt sich mal wieder, das auch ein Bugdet von nur 1,5 Millionen Dollar in den richtigen Händen, ein gigantisches Maß an Kreativität verwirklichen kann. Mittels einer scheinbar schwerelosen Kameraführung, fiebrigen, flimmernden Bildern und einer grellen Retrofarbenpalette findet Chirons einzigartiger Charakter seine inszenatorische Entsprechung. Untermalt von einem kontrastreichen Score, der europäischer Klassik entlehnt ist (sogar ein Stück von Mozart wird im Film verwendet), entsteht so auch auf audiovisueller Ebene ein enorm vielfältiges und andersartiges Bild, das dem, ebenfalls oscarprämierten, speziellen Drehbuch jederzeit gerecht wird. Dieses beschäftigt sich thematisch mit der Position eines ungewöhnlichen jungen Mannes in der Welt. Wer, wie Chiron, in einem schwarzen Ghetto aufwächst, in dem die äußere Fassade einen Menschen ausmacht und das Recht des Stärkeren regiert, lernt schnell sich anzupassen. Schon als Kind ist sich Chiron so seiner Andersartigkeit bewusst und reagiert zurückgezogen, schweigsam und abweisend auf seine Umgebung. Nur der örtliche Drogenboss Juan (als erster Muslim überhaupt mit einem Schauspieloscar ausgezeichnet: Mahershala Ali) schafft es in dem Jungen Zuneigung für andere zu wecken und wird so zum Ersatzvater. In der vielleicht beeindruckendsten Szene des Films, lehrt Juan Chiron zu schwimmen (Ali brachte dies dem Kinderdarsteller Alex R. Hibbert während der Dreharbeiten tatsächlich bei). Schnell entwickelt sich hier eine Taufe (die metaphorische Namensgebung Juans, als spanische Version von Johannes dem Täufer ist einfach großartig), Chiron lernt erstmals zu Vertrauen. Moonlight ist voll von solch berührenden und emotional aufgeladenen Momenten, die den Zuschauer unerwartet packen und eine ungemeine Sogwirkung mit sich bringen. Diese wird durch den allgegenwärtigen Kontrast zwischen inhaltlich hartem Sozialdrama und inszenatorisch märchenhafter Darstellung noch verstärkt. Bis hin zum emotional nahezu überfordernden und schlicht großartigen Finale ist Moonlight in jeder Hinsicht eine Bereicherung für die Kinowelt. 

9/10

Für Fans von: Boyhood, Blau ist eine warme Farbe, American Honey

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