Elle
Mit
77 Jahren ein fulminantes Comeback feiern, darf selbst im Falle des
europäischen Starregisseurs Paul Verhoeven als Überraschung
gelten. 10 Jahre nach seinem letzten (fiktiven) Film und Dekaden
nach seinen Meisterwerken Robocop, Basic Instinct und Starship
Troopers erwacht der Niederländer aus dem, was allgemein als
Ruhestand gewertet wurde. Doch Elle ist keinesfalls ein gediegenes
Alterswerk. Der unberechenbare und Genregrenzen sprengende
Psychothriller ist ein sauvergnüglicher Schlag in die Magengrube.
Allen voran ist es die französische Schauspiellegende Isabelle
Huppert, die als Softwareentwicklerin Michelle alle Register ihres
Könnens zieht und dem Zuschauer gemeinsam mit den Wendungen des
fintenreichen Drehbuchs genüsslich vor den Kopf stößt. Denn
Michelle reagiert nach einer Vergewaltigung nicht so, wie es üblich
erscheint. Nachdem sie den Strafverfolgungsbehörden die Schuld an
einer Jahrzehnte langen, öffentlich Hetzjagd gegen ihre Person gibt
(der Handlungsstrang um die Vergangenheit von Michelles Familie ist
schlicht genial in das Gesamtgeschehen eingewoben), macht sie
einfach nichts. Langsam, aber mit voller Wucht entblättern sich in
den 126 Minuten Laufzeit sodann Facetten und Schichten von Michelles
Charakter, die zusätzlich zu diesem scheinbaren Affront gegen sich
selbst und die Gerechtigkeit, eine der vielseitigsten Figuren der
jüngeren Kinogeschichte entstehen lassen. Was mich nach dem düsteren
Rape-and- Revenge-Thriller der ersten halben Stunde besonders
beeindruckt hat, waren die Wechsel Verhoevens innerhalb
verschiedener Filmstile. Mit der Zunahme an handelnden Personen
entspinnt sich aus der Grundgeschichte von Elle eine schamlos
unterhaltsame Gesellschaftssatire. So bleiben vor allem Christian
Berkel als Michelles egomanischer Liebhaber und Judith Marge als
deren völlig absurd charakterisierte Mutter aus einem tollen
Ensemble im Gedächtnis. Mit solch abnormen Figuren und brilliant
komischen Dialogen entführt uns Elle schließlich in eine Welt ohne
jegliche Moral. Mit vielen Anleihen an die amerikanische Pulpkultur
entfernt sich der Film schließlich immer weiter vom zu Beginn
erwarteten Whodunit-Plot. Denn wer für die Vergewaltigung
verantwortlich war, spielt letzten Endes kaum noch eine Rolle. Es
sind die Themen sexuelle Überlegenheit, Vergangenheitsbewältigung
und welchen Platz die moderne Frau in der modernen Welt innehat, die
Elle abgehandelt haben wird. Und dies alles mit doppelten Böden,
einer großartigen Isabelle Huppert und einem Paul Verhoeven, der
sich mit seinem ersten französischsprachigen Film auf der Höhe der
Zeit zeigt.
8/10
Für
Fans von: Gone Girl, Die Klavierspielerin
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