Montag, 6. März 2017

Erlösende Stille




Silence

Im 17. Jahrhundert wurde die Ausübung des christlichen Glaubens in Japan verboten. Gläubige mussten, persönlich erniedrigt, öffentlich der Kirche abschwören oder liefen Gefahr, Folter und Tod zu erleiden. In den Zeiten zuvor waren es besonders die missionierfreudigen Jesuiten, die von Europa aus den katholischen Glauben auch nach Japan brachten, wo er auf fruchtbaren Boden traf. Als im portugiesischen Bischofssitz Lissabon das Gerücht bekannt wird, ein berühmter jesuitischer Priester und Vorkämpfer für die Ausbreitung des Christentums habe seinem Glauben abgeschworen, wagen zwei junge Geistliche den Weg ins Land der aufgehenden Sonne um eben jenen Pater Ferreira aufzusuchen, der zugleich auch beider Lehrmeister ist. Mit Silence bringt Altmeister Martin Scorsese nun sein persönliches Vermächtnis ins Kino. Ein Film, der jetzt und in Zukunft sicher niemandem so viel bedeuten wird, wie dem Regisseur selbst. Jeder Einstellung ist anzusehen, mit welcher Hingabe und wie viel Planung Silence vorangetrieben wurde. Schon 1990 erwarb Scorsese die Filmrechte an Shusaku Endos zugrunde liegendem Roman Das Schweigen (in dessen deutscher Ausgabe ein Vorwort von Scorsese selbst inbegriffen ist) und begann mit der Arbeit an einem Drehbuch. Für einen Mann, der zeitlebens mit seiner strengen katholischen Erziehung haderte – bestens auch in Die letzte Versuchung Chrtisti von 1988 zu sehen – und dessen sonstige Filmografie nicht unbedingt von Subtilität geprägt ist, kommt Silence als wahrlich weises, bedächtiges aber auch emotional kühles und abweisendes Spätwerk daher. Der 162minütige Parforceritt wird daher höchstwahrscheinlich in Deutschland seinen weltweiten kommerziellen Misserfolg fortsetzen. Silence ist eine Fremdheitserfahrung, fernab von Mainstream und cineastischen Konventionen. Scorsese gibt uns keinen empathischen Leitfaden zur Hand. Weder die beeindruckende Kamera von Rodrigo Pietro, noch der klassisch japanisch inspirierte Score weisen den Zuschauer zu bestimmten Empfindungen. Wie auch die Pater Rodrigues und Garupe, denen wir auf ihrer Reise folgen, werden wir mit den uns auferlegten Prüfungen (im Fall des Kinozuschauers also den Schicksalen der Figuren) allein gelassen. Silence wird so zu einem missionarischen Werk, an dessen Ende wahrscheinlich niemand der katholischen Kirche beitreten wird (der Film enthält sich einer Wertung zum Dasein der Kirche per se und übernimmt den nüchternen Erzählstil der Vorlage), doch durch den wir uns einem der besten Regisseure der Filmgeschichte näher fühlen. Dennoch wird der Missionar, also Silence an sich, größtenteils ablehnend und verständnislos aufgenommen werden. Doch auch abseits von spannenden Gedanken über den Glauben und die Opferbereitschaft des Einzelnen in einer Gemeinschaft ist Silence absolut sehenswert. Andrew Garfield als Hauptdarsteller ist dafür das beste Beispiel. Sein Pater Rodriguez wird mit Entscheidungen konfrontiert, die an den innersten Überzeugungen rütteln, sein Gottvertrauen wird unvorstellbaren Prüfungen unterzogen, er leidet oftmals stellvertretend. Querverweise auf die Geschichte von Jesus Christus sind da natürlich offensichtlich und auch gewollt. Der oscarnominierte Kalifornier besticht dabei mit einer tiefgehenden, greifbaren und sehr erwachsenen Performance. An seiner Seite bleiben Adam Driver und Liam Neeson ebenfalls nachhaltig im Gedächtnis. Der bereits angesprochene Look des Films lässt uns fast spürbar in eine Welt aus Rauch, Schmutz und Finsternis eintauchen. Bilder und Geschichte ergeben eine untrennbare Symbiose. Wer sich also an langen theologischen Gesprächen und inneren Monologen nicht stört, wer die Welt des Kinos nicht nur als Unterhaltung versteht und wer erleben will, wie eine Literaturverfilmung aussehen kann, wenn ein Regisseur die Buchvorlage wahrlich verinnerlicht hat, für den ist Silence ein absoluter Pflichttermin. 

9/10

Für Fans von: Der Schamane und die Schlange, Der Name der Rose

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