Freitag, 3. Februar 2017

Der letzte Akt




The Salesman

Kann man von einer automatischen Reaktion der weltweiten Filmöffentlichkeit sprechen, wenn Asghar Fahadis neuer Streifen wieder ein höchstes Maß an Aufmerksamkeit bekommt? Wenn er wie schon seine letzten beiden Werke Nader und Simin – Eine Trennung und Le passé Nominierungen und Trophäen auf Festivals und Preisverleihungen erhält? Der Automatismusgedanke liegt meiner Meinung nach nahe, und bedingt durch Fahadis Einreiseverbot in die USA ist ihm der Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film auch praktisch nicht mehr zu nehmen. Doch ungeachtet all dieser film- und weltpolitischen Begebenheiten ist The Salesman ein eindringliches und bemerkenswertes Drama geworden. Lehrer Emad und seine Frau Rana müssen nach einem Hauseinsturz umziehen. Im chronisch überfüllten Teheran finden beide allerdings nur über private Kontakte eine neue Wohnung, nicht wissend, dass diese zuvor einer Prostituierten als Arbeitsplatz diente. Ein ehemaliger Freier fällt nun über Rana her – eine Verwechslung, die das weltoffene, intellektuelle Ehepaar in eine tiefe Krise stürzen wird. Emad und Rana sind beide in einer Laientheatergruppe aktiv, die sich intensiv mit der Adaption von Tod eines Handlungsreisenden beschäftigt. So ist jedoch nicht nur der Name des Films zu erklären, Arthur Millers Roman und dessen Motive finden im zentralen Konflikt von The Salesman auch ihre Entsprechung. Denn es ist Emad, der nach dem Angriff auf seine Frau zur Rache gedrängt wird (um das indoktrinierte Schamgefühl der misshandelten Rana wieder loszuwerden), jedoch mit deren Auswirkungen und dem möglichen Verlust sozialer Anerkennung hadert und so fürchtet, zum gesellschaftlich unbedeutenden Mensch zu werden und wie Willy Loman seine Vorbildfunktion als Lehrer und Vater zu verlieren. Neben der übergeordneten Haupthandlung und deren weiterer Ebene betätigt sich Asghar Fahadi auch erneut als Chronist des iranischen Alltags. The Salesman bietet spannende Einblicke in ein innerlich ungewisses Land zwischen Aufbruchsstimmung und religiösem Fundamentalismus. Dies alles wird dem internationalen Publikum durch ein tolles Hauptdarstellergespann nahegebracht. Shabab Hosseini konnte für seine Performance verdientermaßen die silberne Palme in Cannes ergattern, Taraneh Alidoosti steht ihrem Filmpartner in nichts nach und beweist, warum sie in ihrem Heimatland als beste Schauspielerin ihrer Generation gilt. Für mich als Westeuropäer war es besonders spannend zu sehen, wie sich in ihrem Spiel die Erwartungen an das Verhalten einer muslimischen Frau widerspiegelten. Inszenatorisch bleibt Fahadi den Gepflogenheiten eines Beziehungsdramas treu, nutzt eine enge Kamera, die die Emotionen der Figuren in den Mittelpunkt rückt sowie unaufgeregte und sparsame Musik. The Salesman hat dank trotz ruhiger Erzählweise und unspektakulärer Visualität dennoch das Zeug zum großen Erfolg unter Arthousefans. Dafür sorgen ein unvorhersehbares Drehbuch, dass seine zunehmende Spannung aus der Entwicklung der Charaktere zieht, sowie die Behandlung philosophischer Konflikte hinsichtlich Vergebung, Rache und Ehre. 

8/10

Für Fans von: Nader und Simin – Eine Trennung, Taxi Teheran, Circles

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen