The
Salesman
Kann
man von einer automatischen Reaktion der weltweiten
Filmöffentlichkeit sprechen, wenn Asghar Fahadis neuer Streifen
wieder ein höchstes Maß an Aufmerksamkeit bekommt? Wenn er wie
schon seine letzten beiden Werke Nader und Simin – Eine Trennung
und Le passé Nominierungen und Trophäen auf Festivals und
Preisverleihungen erhält? Der Automatismusgedanke liegt meiner
Meinung nach nahe, und bedingt durch Fahadis Einreiseverbot in die
USA ist ihm der Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film
auch praktisch nicht mehr zu nehmen. Doch ungeachtet all dieser
film- und weltpolitischen Begebenheiten ist The Salesman ein
eindringliches und bemerkenswertes Drama geworden. Lehrer Emad und
seine Frau Rana müssen nach einem Hauseinsturz umziehen. Im
chronisch überfüllten Teheran finden beide allerdings nur über
private Kontakte eine neue Wohnung, nicht wissend, dass diese zuvor
einer Prostituierten als Arbeitsplatz diente. Ein ehemaliger Freier
fällt nun über Rana her – eine Verwechslung, die das weltoffene,
intellektuelle Ehepaar in eine tiefe Krise stürzen wird. Emad und
Rana sind beide in einer Laientheatergruppe aktiv, die sich intensiv
mit der Adaption von Tod eines Handlungsreisenden beschäftigt. So
ist jedoch nicht nur der Name des Films zu erklären, Arthur Millers
Roman und dessen Motive finden im zentralen Konflikt von The Salesman
auch ihre Entsprechung. Denn es ist Emad, der nach dem Angriff auf
seine Frau zur Rache gedrängt wird (um das indoktrinierte
Schamgefühl der misshandelten Rana wieder loszuwerden), jedoch mit
deren Auswirkungen und dem möglichen Verlust sozialer Anerkennung
hadert und so fürchtet, zum gesellschaftlich unbedeutenden Mensch zu
werden und wie Willy Loman seine Vorbildfunktion als Lehrer und
Vater zu verlieren. Neben der übergeordneten Haupthandlung und
deren weiterer Ebene betätigt sich Asghar Fahadi auch erneut als
Chronist des iranischen Alltags. The Salesman bietet spannende
Einblicke in ein innerlich ungewisses Land zwischen
Aufbruchsstimmung und religiösem Fundamentalismus. Dies alles wird
dem internationalen Publikum durch ein tolles Hauptdarstellergespann
nahegebracht. Shabab Hosseini konnte für seine Performance
verdientermaßen die silberne Palme in Cannes ergattern, Taraneh
Alidoosti steht ihrem Filmpartner in nichts nach und beweist, warum
sie in ihrem Heimatland als beste Schauspielerin ihrer Generation
gilt. Für mich als Westeuropäer war es besonders spannend zu
sehen, wie sich in ihrem Spiel die Erwartungen an das Verhalten einer
muslimischen Frau widerspiegelten. Inszenatorisch bleibt Fahadi den
Gepflogenheiten eines Beziehungsdramas treu, nutzt eine enge Kamera,
die die Emotionen der Figuren in den Mittelpunkt rückt sowie
unaufgeregte und sparsame Musik. The Salesman hat dank trotz ruhiger
Erzählweise und unspektakulärer Visualität dennoch das Zeug zum
großen Erfolg unter Arthousefans. Dafür sorgen ein
unvorhersehbares Drehbuch, dass seine zunehmende Spannung aus der
Entwicklung der Charaktere zieht, sowie die Behandlung
philosophischer Konflikte hinsichtlich Vergebung, Rache und Ehre.
8/10
Für
Fans von: Nader und Simin – Eine Trennung, Taxi Teheran, Circles
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