Montag, 13. Februar 2017

Es wird kein zweites Camelot geben




Jackie

Jackie ein Bio-Pic zu nennen, ist gleichsam zu eng gefasst, als auch übertrieben. Auf der einen Seite beschäftigt sich Pablo Larrains erster englischsprachiger Film zeitlich gesehen nur mit einer Woche aus dem Leben seiner Protagonistin, auf der anderen Seite sprengt Jackie den gewöhnlichen Rahmen eines Bio-Pics gleich in mehrfacher Hinsicht. Der Film ist nicht nur das Porträt einer der bekanntesten Frauen des 20. Jahrhunderts, sondern auch bewegendes Drama und kluger politischer Kommentar. Jacqueline Kennedy gibt darin als Rahmenhandlung einem namenlosen Journalisten in vollständiger Abgeschiedenheit Rede und Antwort nach dem Tod ihres ersten Mannes, dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy. In Rückblenden erfahren wir nun, was die auf den ersten Blick trauernde Witwe sich selbst, anderen Hinterbliebenen (allen voran JFKs Bruder Robert Kennedy) und dem politischen Washington in den Tagen nach dem Attentat von Dallas zumutete. Denn Jackie ist keineswegs ein Liebesbrief an eine Stilikone. Vielmehr setzt Larrain auf eine ambivalente und fundierte Charakterisierung der sogenannten berühmtesten Witwe der Welt. Besonders eindringlich wird dies in den Interviewpassagen deutlich. Basierend auf der Befragung Jackies durch den Life-Reporter Theodore H. White lässt der Streifen die ehemalige First Lady hier als Regisseurin ihres eigenen Lebens auftreten. Wie sie den Journalisten bearbeitet, ihm Sätze in den Mund legt, Details der Geschichte vorgibt (ob sie wahr sind oder nicht) und letztendlich die komplette Kontrolle über das Geschriebene verlangt, trägt alles zum beherrschenden Thema des Films und damit auch des Ausschnitts des Lebens der späteren Jackie O. bei. Die Kontrolle über die eigene Geschichte. In scheinbar weiser Voraussicht werden hier sogar „alternative Fakten“ behandelt, der Realitätsbezug scheint Jacqueline Kennedy dabei öfters abhanden zu kommen. Vielmehr bleibt sie mit ihrer berechnenden, sprunghaften und selbstbezogenen Art im Gedächtnis. Doch ist sie sich stets bewusst, dass ihr Einfluss nur eine Folge der Heirat in den Kennedy-Clan ist. So sagt sie in Jackie fast zusammenfassend selbst: „Ich wurde einfach nur eine Kennedy“. Die emotionale Charakterisierung fällt somit faszinierend und vielschichtig aus. Solch ein intimes Porträt steht und fällt im Film natürlich mit der Hauptdarstellerin. Mit Natalie Portman ist den Verantwortlichen dabei ein absoluter Glücksgriff gelungen. Das enorm komplexe Wesen von Jacqueline Kennedy bringt die Oscarpreisträgerin perfekt auf die Leinwand. Jackie bedient sich mit der inszenatorisch beeindruckenden Überschneidung von Originalaufnahmen und gedrehten Szenen einem Stilmittel, das die unmittelbare Gegenüberstellung der echten Jackie und der von Portman verkörperten Filmfigur bedingt. Doch statt Ernüchterung wird das genaue Spiel hinsichtlich Auftreten, Bewegung und Sprache besonders deutlich. Die Nebenrollen fallen da drehbuchbedingt schon etwas ab, sind aber mit Peter Saarsgard, Greta Gerwig, Billy Crudup und dem kürzlich verstorbenen John Hurt passend besetzt. All dies Lob kommt unter dem Strich bei Pablo Larrain zusammen. Der Chilene bringt uns hier ein andersartiges und fehlerloses Werk auf die Leinwand, das zu den bisherigen Ausführungen auch technisch überzeugen kann. Mit düsterer und eindringlicher Musik sowie langsamer und extrem naher Kameraführung bei langen, schnittfreien Sequenzen scheint Jackie diesbezüglich einem Horrorfilm entlehnt worden zu sein. Das sperrige Thema wird sicher nicht viele Menschen in die Kinosäle locken. Eine gewisse Schwerfälligkeit kann man dem Film trotz kurzer Spielzeit von 100 Minuten zudem auch ankreiden. Nichtsdestotrotz ist Jackie mit seiner eindringlichen und ungewöhnlichen Darstellung der Kennedy, einer hervorragenden Natalie Portman und seiner Genregrenzen auslotenden Inszenierung absolut sehenswert. 

8/10

Für Fans von: Steve Jobs, Life, Foxcatcher

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