Jackie
Jackie
ein Bio-Pic zu nennen, ist gleichsam zu eng gefasst, als auch
übertrieben. Auf der einen Seite beschäftigt sich Pablo Larrains
erster englischsprachiger Film zeitlich gesehen nur mit einer Woche
aus dem Leben seiner Protagonistin, auf der anderen Seite sprengt
Jackie den gewöhnlichen Rahmen eines Bio-Pics gleich in mehrfacher
Hinsicht. Der Film ist nicht nur das Porträt einer der bekanntesten
Frauen des 20. Jahrhunderts, sondern auch bewegendes Drama und
kluger politischer Kommentar. Jacqueline Kennedy gibt darin als
Rahmenhandlung einem namenlosen Journalisten in vollständiger
Abgeschiedenheit Rede und Antwort nach dem Tod ihres ersten Mannes,
dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy. In Rückblenden
erfahren wir nun, was die auf den ersten Blick trauernde Witwe sich
selbst, anderen Hinterbliebenen (allen voran JFKs Bruder Robert
Kennedy) und dem politischen Washington in den Tagen nach dem
Attentat von Dallas zumutete. Denn Jackie ist keineswegs ein
Liebesbrief an eine Stilikone. Vielmehr setzt Larrain auf eine
ambivalente und fundierte Charakterisierung der sogenannten
berühmtesten Witwe der Welt. Besonders eindringlich wird dies in
den Interviewpassagen deutlich. Basierend auf der Befragung Jackies
durch den Life-Reporter Theodore H. White lässt der Streifen die
ehemalige First Lady hier als Regisseurin ihres eigenen Lebens
auftreten. Wie sie den Journalisten bearbeitet, ihm Sätze in den
Mund legt, Details der Geschichte vorgibt (ob sie wahr sind oder
nicht) und letztendlich die komplette Kontrolle über das
Geschriebene verlangt, trägt alles zum beherrschenden Thema des
Films und damit auch des Ausschnitts des Lebens der späteren Jackie
O. bei. Die Kontrolle über die eigene Geschichte. In scheinbar
weiser Voraussicht werden hier sogar „alternative Fakten“
behandelt, der Realitätsbezug scheint Jacqueline Kennedy dabei
öfters abhanden zu kommen. Vielmehr bleibt sie mit ihrer
berechnenden, sprunghaften und selbstbezogenen Art im Gedächtnis.
Doch ist sie sich stets bewusst, dass ihr Einfluss nur eine Folge
der Heirat in den Kennedy-Clan ist. So sagt sie in Jackie fast
zusammenfassend selbst: „Ich wurde einfach nur eine Kennedy“. Die
emotionale Charakterisierung fällt somit faszinierend und
vielschichtig aus. Solch ein intimes Porträt steht und fällt im
Film natürlich mit der Hauptdarstellerin. Mit Natalie Portman ist
den Verantwortlichen dabei ein absoluter Glücksgriff gelungen. Das
enorm komplexe Wesen von Jacqueline Kennedy bringt die
Oscarpreisträgerin perfekt auf die Leinwand. Jackie bedient sich
mit der inszenatorisch beeindruckenden Überschneidung von
Originalaufnahmen und gedrehten Szenen einem Stilmittel, das die
unmittelbare Gegenüberstellung der echten Jackie und der von
Portman verkörperten Filmfigur bedingt. Doch statt Ernüchterung
wird das genaue Spiel hinsichtlich Auftreten, Bewegung und Sprache
besonders deutlich. Die Nebenrollen fallen da drehbuchbedingt schon
etwas ab, sind aber mit Peter Saarsgard, Greta Gerwig, Billy Crudup
und dem kürzlich verstorbenen John Hurt passend besetzt. All dies
Lob kommt unter dem Strich bei Pablo Larrain zusammen. Der Chilene
bringt uns hier ein andersartiges und fehlerloses Werk auf die
Leinwand, das zu den bisherigen Ausführungen auch technisch
überzeugen kann. Mit düsterer und eindringlicher Musik sowie
langsamer und extrem naher Kameraführung bei langen, schnittfreien
Sequenzen scheint Jackie diesbezüglich einem Horrorfilm entlehnt
worden zu sein. Das sperrige Thema wird sicher nicht viele Menschen
in die Kinosäle locken. Eine gewisse Schwerfälligkeit kann man dem
Film trotz kurzer Spielzeit von 100 Minuten zudem auch ankreiden.
Nichtsdestotrotz ist Jackie mit seiner eindringlichen und
ungewöhnlichen Darstellung der Kennedy, einer hervorragenden
Natalie Portman und seiner Genregrenzen auslotenden Inszenierung
absolut sehenswert.
8/10
Für
Fans von: Steve Jobs, Life, Foxcatcher
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