Donnerstag, 26. Mai 2016

Chullachaqui








Der Schamane und die Schlange

Karamakate ist ein beeindruckender Mann. Sein Größe, sein muskulöser Körper und sein fester Blick lassen ihn zur Verkörperung der Beständigkeit werden. Doch genau diese sieht er im Verlust begriffen. Und damit liegt er richtig. Karamatake ist der letzte Überlebende eines indigenen Stammes aus dem kolumbianischen Dschungel. Anhand zweier Begegnungen mit westlichen Wissenschaftlern dokumentiert Regisseur Ciro Guerra in Der Schamane und die Schlange den Niedergang der Naturvölker Amazoniens durch Kolonialisierung und Missionierung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1909 trifft Karamatake auf den deutschen Ethnologen Theo (nach dem realen Vorbild Theodor Koch- Grünberg), 1940 auf den amerikanischen Biologen Evan (nach Richard Evans Schultes). Beide Wissenschaftler fragen um Hilfe bei der Suche nach der sagenumwobenen Yakruna- Pflanze, die heilende Kräfte besitzen soll. Wie die Nebenarme des Amazonas, auf denen Der Schamane und die Schlange hauptsächlich spielt, kreuzen und entfernen sich die Handlungsstränge des Films und hinterlassen letztendlich doch ein beeindruckendes Bild. Es ist die Gier nach Cocablättern, nach Chinarinde und vor allem nach Kautschuk, den Reichtümern des Urwaldes, die Tod und Untergang über die indigenen Völker brachte. Theo und Evan geraten als stille Beobachter immer wieder in die Missgunst Karamatakes, der die Weißen berechtigterweise für die Auslöschung seines Volkes verantwortlich macht, aber andererseits genau weiß, dass die Berichte dieser Männer die einzige Chance für das kulturelle Überleben seiner mystischen Lebensweise darstellen. Gerade durch die fehlende geradlinige Dramaturgie und den psychedelischen Charakter des Films geraten die Einfälle der realen, politischen Absichten der Expansion durch die kolumbianische Zentralregierung und die katholische Kirche besonders eindrücklich und niederschmetternd. Die zwar offensichtliche aber niemals platte Grundaussage des Streifens wirkt im Kontrast zur nüchternen Erzählung somit regelrecht schockierend auf den Zuschauer. Der Schamane und die Schlange ist darüber hinaus ein bildgewaltiger Abenteuerfilm geworden. In epischen und gestochen scharfen schwarz-weiß Bildern nimmt uns Ciro Guerra mit auf eine Reise durch eine scheinbare Parallelwelt, die in den letzten 100 Jahren fast gänzlich ausgelöscht wurde. Die transzendentale Musik und die neun (!) im Film gesprochenen Sprachen sorgen für zusätzliche Authentizität. Der Schamane und die Schlange ist ein künstlerischer, aber eindringlicher Film für alle, die fernab des Mainstreams gern über den Tellerrand hinaus schauen und in wirkungsvollen 125 Minuten nachempfinden wollen, warum dieser der erste jemals für einen Oscar nominierte, kolumbianische Film wurde. 

8/10

Für Fans von: Aguirre – Der Zorn Gottes, Apocalypse Now, Die Vermessung der Welt

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